Wenn Architekten über Architektur sprechen, so scheint es häufig, als würden sie sich hauptsächlich an ihre Berufskollegen wenden und nicht an das breite Publikum. Dass der Architekturdiskurs für die ganze Gesellschaft relevant ist, geht dabei manchmal vergessen.
Drei Beispiele aus der Architekturbiennale Venedig zeigen, wie Architektur sich mit dem Alltag der Menschen befasst und dadurch einen Beitrag an die Gesellschaft leisten kann.
Ägypten: Viel Armut, wenig Freiraum
Unter den 63 Länderpavillons sticht in dieser Hinsicht der ägyptische Pavillon heraus. Er widmet sich den unzähligen Altwarenhändlern in Megacities wie Kairo, die täglich um ihr Überleben kämpfen.
So heisst das Projekt der ägyptischen Kuratoren auch «Roba Becciah», die Bezeichnung für Trödlerware in Ägypten, und eine Verballhornung des italienischen «roba vecchia».
Auf der Suche nach Verdienst besetzen die Händler alle verfügbaren Freiräume: Sie nehmen Trottoirs in Beschlag, platzieren ihre Stände unter Brücken, ja sogar im Strassenraum, so dass es zu Verkehrsbehinderungen kommt. Die Polizei reagiert mit gewaltsamer Vertreibung, die Behörden bieten keine Lösungen an.
«Es liegt uns am Herzen, den Alltag dieser Strassenhändler zu zeigen», so der Ägypter Islam El Mashtooly, einer der drei Kuratoren des Pavillons.
«Das Problem kann nicht mit Vertreibungen bekämpft werden. Als Städteplaner müssen wir Lösungen für diese benachteiligten Menschen
finden, indem wir die geeignete Infrastruktur für sie entwickeln.»
Verschiedene Ansätze, etwa der Bau von platzsparenden mehrstöckigen Markthallen oder die Nutzung von Leerräumen zwischen Brückenpfeilern, werden im ägyptischen Pavillon gezeigt.
Deutschland: Vom Todesstreifen zum freien Raum
Wer den deutschen Pavillon betritt, glaubt, vor einer durchgehenden, schwarzen Mauer zu stehen. Erst beim zweiten Blick wird klar, dass diese durchlässig ist und aus 28 Teilen besteht. Eine bildhafte Einführung in das Projekt «Unbuilding Walls», das sich mit der Berliner Mauer befasst.
So untersucht das Kuratorenteam vom Büro GRAFT, wie der einstige Grenzstreifen seit dem Mauerfall genutzt wird, und «wie er sich mit Leben gefüllt hat», so Kurator Lars Krückeberg.
Von einem Tag auf den anderen ist an die Stelle des Todesstreifens ein Leerraum getreten. Mit diesem wird auf unterschiedlichste Weise verfahren: Neue Gebäude werden gebaut, darunter auch symbolisch aufgeladene, wie der neue Mediencampus des Axel Springer-Verlags. Architekt Rem Koolhaas thematisiert im Gebäude den ehemaligen Mauerverlauf.
Andere Zonen dienen als Freizeitzone für Fussgänger und Velofahrer, oder als Gedenkstätten, wo Mauerreste oder Wachttürme einerseits eine historische Aufarbeitung anbieten, andererseits Millionen von Touristen anziehen.
Die Ausstellung im deutschen Pavillon zeigt aber auch, dass Mauerbau keineswegs ein Phänomen der Vergangenheit ist. In einer Videoinstallation gibt sie Menschen aus verschiedenen Ländern, die mit Mauern leben müssen, eine Stimme.
Schweiz: Irritation im Alltäglichen
Der Schweizer Pavillon hat den Goldenen Löwen gewonnen, den Preis der Biennale für den besten nationalen Beitrag und eine der höchsten Architekturauszeichnungen überhaupt. Den vier jungen Architekten, die den Pavillon erstellt haben, ist ein originelles, vergnügliches Projekt gelungen.
Auf den ersten Blick betritt der Besucher eine leere Schweizer Durchschnittswohnung, geprägt von gängigen Standards, etwa der Durchschnitts-Raumhöhe von 2,40 Metern. Darauf nimmt der Pavillon in seinem Titel «Svizzera 240» Bezug.
Doch plötzlich weicht das Gewohnte der Irritation – Türen schrumpfen zu puppenstubenhaften Dimensionen oder werden überdimensional, so dass man wie ein Kleinkind vor einer riesigen Türfalle steht.
Decken senken sich, Fenster befinden sich in unerreichbarer Höhe, vielfach verschachtelt tauchen immer wieder neue Raum-Erfahrungen auf. Die sollen dazu führen, die Sensibilität für die Architektur der eigenen Wohnräume zu erhöhen.
Die Kuratoren selber formulieren es so: «Wir hoffen sehr, dass dies die Reflexion darüber anregt, welche Rolle die innere Hülle einer Wohnung in unserem Leben und für unsere Identität spielt.»