SRF: Was für eine Retrospektive wird das?
Georg Baselitz: Es ist schwierig, eine Retrospektive von mir zu machen, weil ich nicht ein Bild tausendmal gemalt habe, sondern tausend Bilder, die sich stark unterscheiden. Sam Keller, der Direktor der Fondation Beyeler, wollte Hauptwerke zeigen. Bei mir ist das schwierig, weil die Bilder irgendwo sind, meist sehr weit weg. Das kostet viel Geld.
Und neue Werke?
Der Künstler, der noch lebt und arbeitet, interessiert sich immer dafür, das, was im Atelier frisch entsteht, herauszubringen. Doch dafür sind solche Ausstellungen nicht geeignet.
Dürfen Sie das nicht?
Ich dürfte schon, aber die Institution rechnet mit dem Erfolg solcher Ausstellungen. Und dieser Erfolg hängt von der Wiedererkennbarkeit ab. Sobald man etwas wiedererkennt – wie «die grosse Nacht im Eimer» oder ein «Adler» –, ist man darüber glücklich. Hängt ein neues Bild, wird es schon schwieriger.
Sie geben den Leuten also das, was Sie kennen?
Es ist eine optimale Ausstellung, die Retrospektive heisst und alles beinhaltet – «Highlights», wie gesagt.
Sind sie nach 60 Jahren Malerei immer noch an der Figur interessiert?
Es ist nicht eine Frage der Figur, sondern der Methode. Wenn sie meinen, man könnte abstrakt weiterkommen, dann wäre das eine berechtigte Frage. Aber ich sehe nicht, dass man abstrakt weiterkommt. Ich sehe, dass die Abstraktion stärker limitiert und ideologisch behindert. Es sind mehr ideologische Entscheidungen, die man dann trifft: Monochrom gegen das Tafelbild, damit habe ich ein Problem.
Sie wollen keine Dogmen?
Als ich 1969 die Bilder umgekehrt habe – es begann mit Portraits meiner Freunde –, dachte ich: Jetzt habe ich eine Methode erfunden, die jeder benutzen kann. Aber niemand hat sie benutzt, weil es etwas sehr Persönliches war. Das wollte ich nicht, das wusste ich nicht, aber es ist so. Wenn heute einer verkehrt herum malt, dann geht das irgendwie nicht.
Aber Sie machen es ja immer noch.
Sie meinen, dass sich ein Gag wiederholt.
Ich frage mich nur, ob es Sie nicht langweilt?
Überhaupt nicht. Ich muss jetzt lachen: Ich habe ja nach wie vor Probleme im Atelier, ein Bild wirklich fertig zu bekommen, das sich vom vorangegangen unterscheidet. Das ist mein tägliches Problem.
Diese ursprüngliche Idee der Umkehrung – das Bild in Ablehnung zu Wirklichkeit – ist wirklich gültig. Ich will nicht einsehen, dass ein Bild dem Naturvergleich standhalten muss.
Für Sie ist das Umkehren eine Form der Abstraktion – und doch beharren sie auf der Figur: Wieso?
Ich bin ein Maler von Mittelpunkten. Ich gestalte etwas von einer Mitte aus. Wenn Sie als Kind eine Zeichnung vor sich haben und sagen: Grossmutter will gemalt sein – dann fangen sie in der Mitte an, mit der Nase oder den Augen. Dieses Darstellungsmodell ist einfach meine Realität. Daran zu zweifeln war nie in meinem Sinne.
Muss man unvernünftig sein als Maler?
Wenn sie der Vernunftdeklaration folgen, können sie unmöglich Bilder malen. Wenn sie herausgefunden haben, was die Leute furchtbar aufregt, wo sie sofort eine geknallt kriegen würden, wenn sie es als Kind oft wiederholen würden, dann ist es genau das, was mich als Künstler interessiert hat. Immer wenn die Leute gesagt haben, es ist scheusslich, wusste ich, ich liege richtig.
Sie wollten, dass man Ihnen eine knallt?
Ich habe so viel geknallt gekriegt und das Witzige ist, dass viele es immer noch nicht kapiert haben. Ich krieg immer noch welche geknallt. Es gibt ja Zeitungen und Kritiker, die unentwegt auf mich einprügeln.
Kann man mit 80 Jahren noch gegen Konventionen sein?
Wenn Sie begonnen haben unzufrieden zu sein mit der Welt, dann hören sie damit hoffentlich auch nicht auf. Ich habe nie eine Gesellschaft gefunden, mit der ich zufrieden sein könnte. Selbst wenn ich Partei-Propagandist geworden wäre, hätte ich mein Ziel nie gefunden.
Und wie ist ihr Blick zurück auf all die Schläge und Aufbrüche?
Es gibt ja die Alterssentimentalität. Die habe ich im starken Masse, die Wehleidigkeit usw. Vor allem habe ich das, wenn ich meine eigenen Sachen sehe. Das ist natürlich ein bisschen überheblich oder arrogant, weil ich meine Sachen unglaublich finde. Dann denke ich: Das kann nicht sein, und versuche Vergleiche zu finden, die mich schlagen. Aber ich finde keine. Das macht es noch unerträglicher. Ich gehe nie gross aus in die Öffentlichkeit und kann solche Sachen sagen. Aber das ist schon ein Problem.
Wie ist es mit dem Alterswerk eines Künstlers?
Mein letzter Biennale-Beitrag hiess «Avignon». Weil Avignon das Scheitern von Picasso bedeutet. Picasso stellte sein Alterswerk in Avignon her, schenkte diese Bilder der Stadt und die Stadt sagte Nein. Das war eine Riesenblamage. Die fanden das alles vulgären Mist.
Wie kann man dieser Schwäche entgehen? Muss man weniger trinken, weniger essen etc.? Ich weiss es nicht. Ich versuche ihr zu entgehen, indem ich die Schwäche bei anderen analysiere.
Bei mir sind die Umstände glücklich, ich habe nicht die Situation, dass ich wie der Maler Otto Dix aus der Gefangenschaft zurückkehre oder ein überforderter Künstler bin wie Picasso. Bei mir findet alles im Rückzug statt in einer Art Isolation. Ich glaube, dass ich die Kurve kriege.
Das Gespräch führte Stefan Zucker.