Es ist schwierig, die Aufmerksamkeit von Menschen zu bekommen und zu halten. Fangen wir also mit Sex an. In der Videokunst-Arbeit «TLDR» erzählen Sex-Arbeiterinnen und -Arbeiter von ihrem Job.
Sie sprechen darüber, was so eine Arbeit in einer Welt bedeutet, in der man zwar über fast alles offen reden kann – ausser über Sex-Arbeit. Aus moralischen Gründen. Oder weil Sex-Arbeit nicht ins feministische Weltbild passt.
Oder weil das Thema einfach zu kompliziert ist, um es kurz und knackig auf den Punkt zu bringen.
Viele Menschen mögen keine komplizierten Themen. Das deutet der Titel des Werkes von der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz an: «TLDR», was die Abkürzung für «too long didn’t read» ist. Auf Deutsch: zu lang, hab's nicht gelesen.
Eine Abkürzung, die man oft unter Beiträgen in sozialen Medien finde, sagt Breitz. Eine Abkürzung, die ausdrückt: Jemand hatte keine Lust den Text zu lesen, weil er zu lang war – oder zu komplex.
Strategien gegen das Weggucken
Wie gewinnt man die Aufmerksamkeit von Menschen, die Texte schnell zu lang finden, die weiterblättern oder wegzappen, wenn es zu ernst und zu anstrengend wird?
Sie habe da verschiedene Strategien entwickelt, sagt Candice Breitz. Diese Strategien haben die 47-jährige Künstlerin aus Südafrika international bekannt gemacht.
Zum Beispiel lässt sie in ihren Videos oft Prominente auftreten. In «Love Story» etwa, einem Mehrkanal-Video von 2016, bat sie Hollywood-Stars Julianne Moore und Alec Baldwin vor die Kamera, um mit ihrer Unterstützung die Geschichten von Flüchtlingen zu erzählen.
Ein Knabe plaudert über Sex-Arbeit
Auch in «TLDR» setzt Candice Breitz, die seit 16 Jahren in Berlin lebt, einen Eyecatcher ein: einen zwölfjährigen Jungen, der als Erzähler und Moderator auftritt.
Zanny Stevens, so heisst der Knabe, verbindet die Video-Interviews mit Sex-Arbeiterinnen und -Arbeitern miteinander. Er macht das unglaublich locker, lässig und irritierend.
Wieso sie einen Zwölfjährigen als Erzähler einsetzt? Für Candice Breitz eine Entscheidung, bei der der Zufall mitgewirkt hat. Der Junge ist der Sohn einer Aktivistin, die sich für die Rechte von Sex-Arbeitern einsetzt. Und er ist eine Provokation. Ein Hingucker, der Aufmerksamkeit erzeugt.
Geschickt spielt Candice Breitz mit dramaturgischen Tricks, die Aufmerksamkeit erzeugen. Und konfrontiert das Publikum mit der Frage, warum man so gern wegguckt, wenn es schwierig wird.