«Gell, beim Malen lasse ich mich nicht filmen.» «Ja», sage ich und denke, wir werden schauen. Früher oder später wird sich die Gelegenheit schon ergeben.
Januar 2019. Ich lerne Miriam Cahn während des Ausstellungs-Aufbaus im Kunstmuseum Bern kennen. Sie hat eingewilligt, dass ich sie für einen Film begleite – ein ganzes Jahr lang. Auf die Künstlerin warten fünf grosse Einzelausstellungen in ganz Europa.
Bitte anfassen
Miriam Cahn ist erkältet. Schnäuzend steht sie im Obergeschoss des Museums, umgeben von Kohlezeichnungen. «Schon mit Handschuhen, oder?», fragt der technische Leiter. «Natürlich ohne!» Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
Miriam Cahn mag die weissen Museums-Handschuhe nicht. Ihre Zeichnungen werden mit blossen Händen angefasst und mit Bostich direkt an die Wand getackert. «Ist mir Wurst», sagt Cahn, wenn jemand warnt, ein Kunstwerk könne Fingerabdrücke abbekommen, reissen oder kaputt gehen.
Auch wegen dieses unorthodoxen Umgangs mit ihren Werken ist Miriam Cahn berühmt und von manchen Kuratoren wohl auch gefürchtet. Die Spuren von Zeit und Gebrauch gehören für sie zum Werk dazu.
Verschönert wird gar nichts
Wer Miriam Cahn begegnet, schaut in wache Augen. Diese Augen sehen viel von der Welt: Sex, Krieg, Gewalt und Flucht. Auf wohlige Gemütlichkeit können die Betrachterinnen und Betrachter ihrer Kunst lange warten.
Cahn saugt den Alltag in sich auf. Sie liest vier Zeitungen täglich, schaut fern und nimmt alles in ihre Kunst auf. Ihre Sichtweise ist empathisch und schonungslos zugleich. Sie verschönert nichts für die Leinwand. Auch im direkten Kontakt bleibt sie radikal.
Die Aufregung in München
Im Haus der Kunst in München sorgte Cahn mit dem Rahmenprogramm für Trubel. Parallel zu ihrer Ausstellung hätten zwei Schauen feministischer Künstlerinnen stattfinden sollen.
Doch der neue Direktor des Hauses lud die Frauen wieder aus und an ihrer Stelle die deutschen Malerfürsten Jörg Immendorff und Markus Lüpertz ein. Feminismus raus, Altherren-Kunst rein?
Ein No-Go für Miriam Cahn. Sie lädt die Kunst-Aktivistinnen der Guerrilla-Girls ein. Eine der Gründerinnen der pTruppe zeigt dann, wie sehr die Kunstwelt von weissen Männern dominiertist.
Es begann in der Pubertät
Ihre Sexbilder zeigt Miriam Cahn im braven Bregenz genau so, wie im katholisch konservativ geprägten Polen. Ihre Art zu denken und zu handeln bleibt unabhängig von Raum und Zeit.
Radikal für die eigene Position zu kämpfen habe sie als Pubertantin gelernt, sagt Miriam Cahn. Das habe sie sich bis heute erhalten, sagt sie mir in ihrem Atelier im Bergell.
Der praktische Bau, eine Art überdimensionierte Schuhschachtel aus Beton an der Strasse zwischen Norden und Süden, passt zur Künstlerin. Hier lebt und malt Miriam Cahn. Nicht fürs Publikum, nicht für Galerien und Museen, nein, sie malt nur für sich selbst.
Das sei überhaupt das Wichtigste, der Kern ihrer Arbeit, etwas für sich alleine zu tun. Dem habe sie stets alles andere untergeordnet, eine bewusste Entscheidung für ihr Leben und für ihre Kunst.
Diese Konsequenz ist Teil all ihrer Bilder und immer spürbar im direkten Kontakt. Wenn sie sich entschieden hat, dann bleibt sie dabei. Das gilt auch für die Frage, ob sie sich beim Malen filmen lässt.
«Sicher nicht», sagt mir Miriam Cahn auch beim dritten Nachfragen. Der Koch verrate seine Rezepte ja auch nicht.