«Treffen Sie so wenige Menschen wie möglich», lautet die Verhaltensregel des BAG in Zeiten von Corona. Was dabei alles verloren geht, ist Thema einer Fotoserie, die der Aargauer Fotograf Thomas Kern in den letzten beiden Jahren erarbeitet hat.
Vom Zufall geleitet
«Je te regarde et tu dis» besteht aus rund 60 Porträts von Menschen aus Düdingen, Courtepin oder Freiburg. Keine Repräsentanten, keine Regierungsrätinnen, keine Berühmtheiten sind zu sehen. Menschen wie du und ich hat Thomas Kern fotografiert. Dabei liess er sich vom Zufall leiten.
«Früher hätte ich das Telefonbuch aufgeschlagen und blind auf Namen getippt», sagt der Fotograf. Er fand die Menschen auf der Strasse oder über Empfehlungen – und ist selbst überrascht davon, wie divers die Gruppe ausgefallen ist.
Nicht-repräsentativer Querschnitt durch einen Kanton
Alte und junge Männer und Frauen. Woher kommen sie? Welche Herkunft haben sie? Genau weiss man das nicht. Denn Kern liefert abgesehen vom Bild und dem Namen der Person keine Informationen.
So sind die Betrachterinnen und Betrachter ganz aufs Sehen angewiesen. Auf die Projektionen, die der eigene Kopf zu den Bildern produziert: Der sieht nett aus! Die arbeitet bestimmt mit den Händen. Warum schauen die Alten alle irgendwie fragend in die Kamera? Warum sieht man ihnen ihr Leben so deutlich an? Und warum wirken die Jungen so selbstsicher?
Mehr Details, mehr Gedanken
Kern grinst bei solchen Bemerkungen. Dass die Furchen und Falten auf alten Gesichtern wirken, als seien ihre Trägerinnen und Träger vom Leben gezeichnet, sei wenig überraschend, sagt der Fotograf. «Je mehr Details ein Foto zeigt, umso stärker bleiben wir haften und denken uns unseren Teil.»
Die Porträtserie entstand als Projekt der « enquête photographique fribourgeoise ». Der kantonale Wettbewerb spricht alle zwei Jahre die Mittel für eine fotografischer Ermittlung in Freiburg. Aber so viel hätten seine Porträts gar nicht mit dem zweisprachigen Kanton zu tun, sagt Kern.
Anschauen und durchschauen
Ihn habe vor allem die Überraschung interessiert. Ausserdem: so wenig Kontrolle wie möglich zu haben. Die schwarzweissen Porträts sind Momentaufnahmen einer Begegnung. Alle sind in einem Zustand grosser Konzentration entstanden: Menschen blicken uns an. Manchmal scheint es sogar, als blickten sie durch uns hindurch.
Das hat eine starke Wirkung. Die Betrachterinnen und Betrachter sind angesprochen, sich zu verhalten. Soll ich distanziert in der Beobachtungsposition verharren oder bin ich mitgemeint? Kann ich wirklich in die porträtierte Person hineinschauen? Falls ja: Was sehe ich?
Geschärfter Sinn fürs Wesentliche
Solche Grundsatzfragen der Fotografie stellt Thomas Kern mit subtiler Einfachheit in einer Zeit, die von digitalen Bilderfluten geprägt wird. Zu viele, zu schnell geschossene und angeschaute Bilder nehmen der Fotografie paradoxerweise ihren Raum.
Thomas Kerns Fotoserie erweitert diesen Raum wieder. Auch das passt bestens zum geschärften Sinn fürs Wesentliche in Zeiten einer Pandemie.