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Kunst Kunst am sterbenden Bau

Ein jahrhundertealtes Haus in Zollikon am Zürichsee wird ein letztes Mal belebt. Das Kollektiv «Sollbruchstelle» hat sich hier eingenistet. Es feiert das Haus, das dem Abbruch geweiht ist, mit Kunst. Am Schluss gehen alle Werke gemeinsam mit dem Bau unter.

Der Verputz bröckelt, eine Fensterscheibe ist zertrümmert, im längst ausrangierten Briefkasten hat eine Spinne ihr Netz gezogen. Dieses Haus hat bessere Zeiten gesehen. Wer aber hinter die Fassaden schaut, wird mit vielfältigen Sinneseindrücken und Stimmungen belohnt.

Kein Platz für Eitelkeiten

Bereits hinter der Eingangstür empfängt einen ein Hauch von Twin Peaks: Der erste Raum ist ganz in Pink gehalten, etwas Licht von der Strasse dringt durch die Lamellen. An Schnüren befestigte Puppen kreisen bedrohlich langsam in der Luft. Das ist die Vorstellungswelt der Performance-Art-Gruppe «Der Pfeil». Falls hier früher mal ein Kinderzimmer war: Welche bittersüssen Dramen mögen sich darin abgespielt haben?

Die Mitinitiantin Nikkol Rot ist begeistert vom Ort: «Das Haus ist enorm spannend, wie ein Labyrinth, man verliert sich anfangs beinahe darin, für eine Ausstellung einfach wunderbar.» Das Kollektiv «Sollbruchstelle» experimentiert hier schon zum zweiten Mal mit Kunstinterventionen am sterbenden Bau, wie sie es nennen. Die Aktion ist nicht kommerziell orientiert, keine Verkäufe, keine Auktion, am Schluss geht die Kunst gemeinsam mit dem Bau unter. Eitelkeit der Künstler hat da keinen Platz.

Der charakteristische Mief alter Räume

Eine reizvolle Ausgangslage, der auch die transsexuelle Künstlerin und Musikerin Stella Glitter (65) viel abgewinnen kann. «Die Leute werden die Räume anders ansehen, weil sie wissen, alles dauert nur zehn Tage und wird dann vernichtet. Umso wichtiger ist die Erinnerung daran.»

Um Identitätsfindung und den eigenen Weg geht es in Stella Glitters Raum. Motive sind ein längst ausgestorbener tasmanischer Tiger, richtungweisende gelbe Streifen, quer dazu menschliche Fussspuren und Tatzenabdrücke an Boden und Wand. Der Kussmund und die Banane als Anspielungen an ihre Helden der Rockgeschichte und Pop Art, Velvet Underground und Andy Warhol.

Im Raum nebenan hat die bekannte Modedesignerin Christa de Carouge gewirkt. Sie verbindet die Endlichkeit des Hauses mit dem eigenen Abschiednehmen von langjährigen Gewohnheiten – bis zur Auseinandersetzung mit dem Tod. Ein Kleid hängt steif an einer Stahlkette. Der Raum ganz in Schwarz, selbst die Fenster sind schwarz übertüncht. Nur eine Kerze brennt. Gruftig – ein Andachtsraum besonderer Art. Dazu der charakteristische Mief jahrhundertealter Räume.

Sinnlich und manchmal bedrückend

Danach rasch die steilen Stiegen hoch bis in den Estrich. Klaustrophob düster auch hier die Stimmung. Einzig mit einer Stirnlampe bewaffnet, hangelt man sich im dunklen Raum von Bild zu Bild. Die Fotografin Andrea Ebener inszeniert sich als ätherisches Wesen an den Dachschrägen. Ganz schön schauerlich!

Schon bald macht der Totalabbruch alles flach und gleich – ob Mauerwerk, Holz oder all die schön skurrile Kunst. Bis dann aber ist der Besuch dieses Hauses eine sinnliche, manchmal auch bedrückende Erfahrung.

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