Gegenwartskunst kann teuer sein. In diesem Fall bedeutet das oft: Geldanlage für die Käufer, Reichtum für die Künstler. Manchmal wird aber viel Geld für schnell produzierten Mist gezahlt. Das sagt Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich.
SRF: Wolfgang Ullrich, in Ihrem Buch stellen Sie die These auf: «Kunst und Bedeutung entkoppeln sich.» Wie kommen Sie darauf?
Wolfgang Ulrich: Die Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre auf dem Kunstmarkt sprechen eine deutliche Sprache. Der Kunstmarkt hat sich globalisiert. Viele Akteure sind hinzugekommen, die aus anderen Kulturen als der westlichen stammen. Sie haben ein gänzlich anderes Verständnis von Kunst.
Man muss zu den Siegern der Gesellschaft gehören, um auf Kunstmessen oder grossen Auktionen mitmischen zu können.
Für sie ist überhaupt nicht selbstverständlich, was für uns in den letzten 200 Jahren selbstverständlich war, wie etwa unsere Vorstellung, dass Kunst etwas sein kann, das den Menschen läutern oder heilen kann, dass Kunst also im weitesten Sinn eine therapeutische Funktion besitzt.
Ihr Buch von 2016 heisst: «Siegerkunst». Wer sind die Sieger?
Die Sieger sind die, die sich diese Kunst leisten können. Wir wissen, wie teuer zeitgenössische Kunst gerade heute sein kann. Man muss zu den Siegern der Gesellschaft gehören, um auf Kunstmessen oder grossen Auktionen mitmischen zu können.
Auf der anderen Seite sind aber auch die Künstler Sieger, die so teuer gekauft werden. Sie unterscheiden sich nicht mehr von ihren Kunden. Künstler sind Global Player, Unternehmer. Sie machen eine Arbeit, die viel mit Management zu tun hat und sie sind ähnlich reich wie ihre Kunden. Man kann sie alle zu den Siegern zählen.
Sieht die Kunst, die nur für dieses Geldgeschäft gemacht wird, anders aus?
Man kann nicht pauschal antworten, aber ein paar Dinge fallen auf: Mich überrascht zum Beispiel bei manchem der hohe Preis, denn man sieht: Das ist sehr schnell entstanden. Man ahnt, das wird keine Jahrhunderte Bestand haben, das ist alles trashig, kostet aber achtstellige Summen.
«Salvator mundi» von Leonardo da Vinci - das Bild hat eine Rekordsumme erzielt und ist kein trashiges modernes Werk.
«Salvator mundi» ist in einer Auktion für Gegenwartskunst versteigert worden – ganz gezielt und eben nicht in einer Auktion für Renaissancekunst, die kurz davor stattfand. Fachleute hatten gewarnt, es sei bei dieser Renaissanceauktion kaum Substanz vorhanden, einiges sei nicht optimal restauriert.
Sicherlich wird ein Teil der Kunst für den Markt geschaffen.
Das wäre für die Versteigerung von «Salvator mundi» keine gute Umgebung gewesen, da hatte doch manches – von der Provenienz her – etwas Trashiges. Und so landete der da Vinci bei der Auktion für Gegenwartskunst.
Wie verhalten sich die Kunstschaffenden zu solchen Entwicklungen, dass Kunst teilweise nur im Hinblick auf schnelles Geld gemacht wird?
Sicherlich wird ein Teil der Kunst für den Markt geschaffen. Aber gemessen daran, was an Kunst entsteht, ist das ein kleiner Teil. Wir haben zum Beispiel im Kunstbetrieb aktuell eine sehr politisierte Kunst, Formen des politischen Aktivismus.
Was Sie auf der Biennale oder documenta sehen können, ist wiederum etwas völlig anderes. Ich würde nicht sagen das sind «Gegenentwürfe» aber «Parallelentwicklungen».
Es braucht keine Schwarzmalerei?
Die braucht es sowieso nicht, denn die Verhältnisse, die wir besprochen haben, kann man beschreiben, statt sie gleich zu skandalisieren. Gerade, wenn man den historischen Horizont öffnet, wird man sehen, dass bildende Kunst über Jahrhunderte auch ein Statussymbol war.
Das Gespräch führte Katrin Becker.