Kann man mit Geld Schmerz lindern? Diese und andere Fragen beschäftigen auch den Künstler Kader Attia. Eine Ausstellung im Kunsthaus Zürich zeigt 38 Arbeiten, mit denen er sich in die aktuelle Debatte um Rückgabe und Wiedergutmachung einmischt.
Ein abgedunkelter Raum, gefüllt mit Masken, Köpfen und Figuren aus Holz. Wie stille Wächter stehen die Nachbildungen afrikanischer Artefakte auf ihren Sockeln. Sie blicken stumm, aber mahnend auf eine Videoleinwand. Hier läuft der Film «Les entrelacs de l’objet».
Darin diskutiert Kader Attia mit Historikerinnen, Philosophen und Ethnologen die unterschiedlichen Standpunkte zur Frage: Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe?
Der Zürcher Ethnologe Alexis Malefakis sagt in dem Film: «Die Debatte über Dekolonialisierung ist ein unbeliebtes Thema. Da muss man Druck machen, damit es weitergeht.»
Die Debatte werde bislang nur in westlichen, akademischen Kreisen geführt. Sie sei geprägt von unserem nationalen Selbstbild aus dem Geschichtsunterricht.
Dieses Selbstbild zu hinterfragen, würde viele überfordern, sagt Kada Attia. Auch in der Schweiz sei noch immer nicht allen bewusst, dass man sich auch hierzulande an der Ausbeutung der Kolonien kulturell und ökonomisch beteiligt hat, obgleich man keine eigenen Kolonien besass.
Sklaverei lässt sich nicht ungeschehen machen
Attia findet, man mache es sich zu einfach: «Nur weil wir etwas zurückgeben, ist es nicht vorbei. Man kann die toten Körper nicht wieder lebendig werden lassen und die Sklaverei nicht ungeschehen machen.»
Die Ausstellung im Zürcher Kunsthaus zeigt neben Attias neusten Videoinstallation auch ältere Arbeiten, etwa seine «Gueules cassées», die er auf der documenta 13 präsentierte.
Die Holzbüsten stellen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg dar: Männer, die zwar überlebten, aber solch gravierende Verletzungen erlitten, dass ihre Gesichter bis an ihr Lebensende entstellt blieben.
Kada Attia reiste damals mit Archivfotos der Versehrten nach Afrika und stellte vor Ort Büsten dieser Gesichter mit traditionellen Kunsthandwerkern her.
Das Werk thematisiere damit nicht nur die Schrecken des Krieges, sagt die Kuratorin Mirjam Varadinis: «Das ist eine Umkehrung der Geschichte der Moderne. Darum geht es bei Kader Attia: um Perspektivenwechsel, dass nicht nur die westliche Moderne alles neu erfunden hat.»
Unmöglich, zum Originalzustand zu kommen
An den Holzbüsten wird noch etwas Wesentliches sichtbar: Verletzungen können zwar verheilen, Narben aber bleiben.
Überhaupt sind die Begriffe Verletzung und Reparatur zwei zentrale Begriffe im Werk des Künstlers. Reparieren meint, etwas wiederherzustellen, zum Laufen zu bringen, wohingegen es bei einer Reparation darum geht, Unrecht auszugleichen, ungeschehen zu machen.
Das geht aber nicht, findet Kada Attia: «Wir haben gelernt, zu glauben, dass man mit Reparation etwas in seinen Ursprungszustand zurückversetzen kann. Aber man kann selbst mit einer Milliarde Euro die Taten nicht ungeschehen machen.» Vielmehr solle man neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln, um das alles aufzuarbeiten, so Attia.
Seine Schau trägt nicht umsonst den Titel «Remembering the Future» – ohne Vergangenheit keine Zukunft. Mit diesen gesellschaftlich drängenden Fragen nach Wiedergutmachung und Restitution mischt sich Kada Attia ein in eine Debatte, die gerade erst begonnen hat.
Das macht seine Kunst über das ästhetische Erleben hinaus wichtig und relevant. Abschliessend fordert er denn auch seine Besucher auf, sich in einem Spiegel zu betrachten. Ein Spiegel, in dem eine tiefe Wunde klafft.