Vor einem Supermarkt explodiert eine Bombe – Alltag in Afghanistan. Die Bombe reisst eine Frau in den Tod, ihren Mann, ihre zwei Kinder. Verantwortlich für den Anschlag ist einer von Kabuls vielen Regionalfürsten.
Der Strassenkünstler Omaid Sharifi klagt ihn an – auf seine Weise: «Ich habe gegenüber dem Haus des Täters ein Bild von Harmida Barmakhi auf eine Wand gemalt. Sie war eines der Opfer des Anschlags. Darunter steht: ‹Ich werde das nie vergessen›».
Das 8 mal 6 Meter grosse Bild sollte den Attentäter für immer an seine Opfer erinnern. Bereits am nächsten Tag war das Bild entfernt. Zu spät. Omaid Sharifi hatte es schon fotografiert und in den sozialen Medien veröffentlicht. Der Mörder stand am Pranger.
Seit 42 Jahren herrscht in Afghanistan Ausnahmezustand. Mehrere Generationen sind mit kriegerischen Auseinandersetzungen gross geworden.
Mauern mit Malerei einreissen
Die Rate der Analphabeten ist hoch. Die Gruppe «Artlords» rund um den afghanischen Künstler Omaid Sharifi will, dass auch Menschen, die des Lesens unkundig sind, sich am Demokratisierungsprozess beteiligen – und setzt deshalb auf die Macht der Bilder. Sie malen sie in auf Mauern in Kabuls Strassen und anderen Orten Afghanistans.
Malflächen für seine aufklärerische Arbeit findet Omaid Sharifi überall – unter anderem auf den zahlreichen Sprengschutzmauern: «Es gibt in der ganzen Stadt sehr grosse, hässliche Sprengschutzmauern. Wir beschlossen, sie zu bemalen und sie so auf unsere Art einzureissen.»
Diesen Entschluss begreift Omaid Sharifi als eine Art Zurückeroberung des öffentlichen Raums. «Die Orte, die wir bemalen, sind sehr heikel. Zum Beispiel der Regierungspalast oder eben das Haus dieses Warlords. Wir wollen den Leuten gegenüber diesen Wänden, also dem Präsidenten, den Politikern, den Ministern eine Message vermitteln: Ihr habt unseren Lebensraum zerstört. Wir leben hier! Also lasst uns wenigstens diese Wände bemalen.»
Malen ist eine Art, den Leuten eine Stimme zu geben
Viele der Sprengschutzmauern, die Omaid Sharifi bemalt, stehen vor offiziellen Gebäuden, vor Regierungspalästen, ja selbst vor dem afghanischen Geheimdienst. Dafür eine Erlaubnis zu bekommen, ist nicht einfach. Aber Sharifis Beharrlichkeit zahlt sich aus. Seine Bilder sind inzwischen in der ganzen Stadt präsent.
Sharifi malt nie allein. Jeder ist eingeladen mitzutun. Eine Chance, die von Passanten rege genutzt wird. Sharifi zeichnet die Umrisse seiner Bilder vor. Die so definierten Flächen können auch von Laien ausgemalt werden. So werden die Passanten zu Mitkünstlern: «Diese Leute haben keine Stimme. Malen ist eine Art, ihnen eine Stimme zu geben.»
Kabul hat sich äusserlich total verändert, seit die Artlords am Werk sind. Auf das ganze Land gesehen hat die Künstlergruppe bis heute über 1700 Mauerbilder gemalt. Gemeinsam mit der Bevölkerung.
Omaid Sharifi ist überzeugt: Afghanistan ist mehr als nur ein ewiger Kriegsschauplatz.