Das Wichtigste in Kürze:
- Der Basler Kunstsammler Ernst Beyeler behielt seine Sammlung in Riehen – unter der Voraussetzung, dass er dort ein Museum bauen durfte.
- Trotz Widerstand stimmte die Gemeinde dem Bau zu: 1997 wurde die Fondation Beyeler eröffnet.
- Heute ist die Bevölkerung des Dorfes froh um das weltberühmte Museum – es gibt aber auch Nebengeräusche.
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Jährlich pilgern fast eine halbe Million Menschen aus der ganzen Welt nach Riehen – in ein Dorf am Rande der Schweiz, welches man mit seinen 20'000 Einwohnerinnen und Einwohnern gut als Provinz bezeichnen kann.
Eine überdurchschnittlich wohlhabende Provinz. Die Dichte an sehr reichen Menschen in Riehen ist hoch: Die Basler Oberschicht pflegte einst ihren Landsitz ins Bauerndorf zu verlegen.
Viele leben immer noch dort, Neue sind hinzugezogen. Die lokale Oberschicht ist global vernetzt und die Wohnlage exquisit, wie ein Spaziergang durch das Villenquartier zeigt.
Schon lange ein Ort der Kunst
Im Wohnzimmer von Maria Iselin-Löffler leuchtet der Herbstwald durch die grossen Fenster. An den Wänden hängen zahlreiche Bilder.
«Es gab in Riehen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr viele Künstler. Und sehr viele Kunstinteressierte – wie Ernst Beyeler», erzählt Maria Iselin-Löffler.
Sie ist Mitglied einer alten Basler Familie. Ihr Leben lang war sie politisch aktiv für die LDP – einer nur in Basel existierenden liberalen Partei.
Kunstretterin von Riehen
Für Maria Iselin-Löffler begann die Geschichte der Fondation Beyeler 1989. Sie erhielt von ihrem Onkel, dem ehemaligen Zürcher Schauspielhausdirektor Peter Löffler, einen Hinweis: Dessen Freund Beyeler habe ernsthafte Absichten, seine Sammlung ins Ausland zu geben, wenn in Riehen nicht bald etwas geschehe.
«Wenn Onkel Peter mit seinen ausgezeichneten Kenntnissen eine solche Meldung durchgab – dann hoppla. Onkel Peter war kein Schwätzer», erinnert sich die zierliche Frau mit den funkelnden Augen. Von da an setzte sie ihre Energie und ihre zahlreichen Beziehungen unermüdlich dafür ein, die Sammlung nach Riehen zu bringen.
Streit um Skulpturen im Park
«Man muss nicht meinen, dass von Anfang an alle begeistert waren», sagt sie. Daran war Ernst Beyeler nicht ganz unschuldig. Er hatte in den 1980er-Jahren – bereits auf der Suche nach einer Bleibe für seine Sammlung – im herrschaftlichen Wenkenpark in Riehen eine internationale Skulpturenausstellung initiiert.
Beyeler war damals Mitglied in der gemeindeeigenen Kommission für Bildende Kunst: «Er wollte wissen, ob die Kunstwelt tatsächlich nach Riehen komme, wenn er sie einlädt», erklärt Maria Iselin-Löffler.
Sie kam: 95'000 Menschen pilgerten in den Wenkenpark. Aber zwischen Beyeler und der Gemeinde gab es Streit: Die Gemeinde wollte nicht das gesamte Defizit von einer halben Million Franken übernehmen.
Und jetzt sollte es gleich ein ganzes Museum sein?
Widerstand gegen Museum und Mauer
Auch für eine reiche Gemeinde kein Pappenstiel. Zumal auf dem wunderschönen Stück Land am Dorfrand, das Beyeler im Auge hatte, eigentlich ein Hallenbad geplant war. Auch gab es Befürchtungen, dass es vorbei sein könnte mit der Ruhe im Dorf.
Aus den für Riehen typischen evangelisch-pietistischen Kreisen gab es Widerstand – warum so verschwenderisch? Und dann noch diese hässliche Mauer, die der Architekt Renzo Piano in seinen Plänen vor die Fondation zeichnete…
Trotz Widerstand und Referendum stimmte Riehen aber dem Bau zu. Der Beginn einer 20-jährigen Geschichte, die das Dorf schlagartig bis nach New York bekannt machte. Eine Liebesgeschichte?
Riehen ist sich einig
«Unbedingt», sagt eine strahlende Frau mit föhnvollendeter Frisur in perfektem Baseldeutsch. Sie kommt aus einem der zahlreichen Genossenschaftshäuser, die das Dorfbild von Riehen ebenso prägen wie die Villen der Reichen: «Die Fondation Beyeler ist spitze! Weltspitze!»
Die Kioskfrau im Hintergrund nickt. War sie schon mal in einer Ausstellung? «Kunst ist nicht so mein Ding. Aber ich hab’s noch vor.»
Zwei Damen beim Kaffee vor einem Einkaufszentrum schwärmen: «Seit Beyeler läuft hier etwas. Und in der Riehener Zeitung gibt es ja diese Gratiscoupons für einen Eintritt.» Ein Angebot der Fondation, das die beiden Damen – wie rund 5000 andere Einwohner Riehens auch – jedes Jahr gerne nutzen.
Auch der Besitzer eines kleinen Cafés, das unmittelbar an der Tramlinie beim Dorfeingang liegt, singt ein Loblied auf die Fondation: «Uns sehen die heranreisenden Besucher als erstes – einige machen dann einen kleinen Spaziergang zu uns zurück. Das ist etwa die Hälfte unserer Kundschaft.»
Manchmal allerdings stiessen er und sein Team an Grenzen – zum Beispiel während der grossen Monet-Ausstellung mit täglich 3000 Museumseintritten.
Das Tram am falschen Ort
Die Besitzerin eines Kleiderladens mitten im Dorf verdreht die Augen: «Das Museum ist super. Aber die Tramhaltestelle liegt am falschen Ort, direkt vor dem Museumseingang. Da steigen die Besucher aus – und nach dem Museumsbesuch wieder ein. Kaum jemand kommt ins Dorfzentrum. Wertschöpfung gleich null.»
Sie weist auf die umliegenden Geschäfte und zählt sieben auf, die innerhalb des letzten Jahres zugemacht haben.
Das Museum löst keine Probleme
«Die Fondation Beyeler kann unsere Probleme nicht lösen», meint Daniel Hettich, Präsident des lokalen Gewerbevereins. «Die Ladenmieten sind zu teuer, es fehlt die Kundschaft.»
Aber nicht wegen der Fondation Beyeler, sondern wegen der Lage unmittelbar an der deutschen Grenze: «Auch die Riehener gehen in Deutschland einkaufen. Oder in Basel. Oder im Internet.»
Riehen muss sich verändern
Er selber beklagt sich nicht. Seine Schreinerei mit 16 Angestellten läuft gut: «Wir haben schöne Aufträge, keine Massenware.» Dank den vielen Einfamilienhäusern mit reicher Klientel?
«Sicher auch», nickt Daniel Hettich und nimmt den Faden zur Fondation wieder auf: «Wenn wir vermehrt die Besucher ins Dorfzentrum locken wollen, so braucht es grössere bauliche Anstrengungen und Veränderungen. Dafür aber fehlt das Geld und ein Dorf kann man nicht einfach neu bauen.»
Fehlendes Geld? In einer der reichsten Gemeinden der Schweiz?
«Der Steuersatz gehört zu den höchsten der Schweiz. Da überlegt sich schon der eine oder andere, sich in Wollerau den Hauptwohnsitz und in Riehen das ‹Wochenendhäuschen› zu leisten. Auch wir müssen haushalten mit unsern Geldern.»
Die lokale Kultur muss hinten anstehen
Haushalten muss auch Christine Kaufmann. Als Gemeinderätin ist sie zuständig für das Ressort Kultur, Freizeit und Sport: «Wir bezahlen der Fondation pro Jahr eine Million Franken.» 300'000 Franken Cash, den Rest als zinsfreies Baurecht, Gratismiete und unentgeltliche Parkpflege.
«Das sind 62 Prozent unseres gesamten Gemeindebudgets für Kultur. Das Problem dabei: Wenn wir bei der Kultur zwei Prozent einsparen müssen, sind die 62 Prozent für die Fondation nicht tangiert, da diese Subvention fest zugesagt ist. Getroffen wird die lokale Kultur.
Das löst dann schon zuweilen Stirnrunzeln aus – auch wenn die Fondation alles Mögliche tut, um die lokale Bevölkerung nicht aussen vor zu lassen.»
Zum Beispiel mit einem Sommerfest, diversen Angeboten für Kinder und Jugendliche und einem wunderschönen Restaurant im Park, das allen offen steht.
Nicht allen gefallen grosse Events
Doch wer das Geschehen rund um das Museum beobachtet, kann feststellen, was auch die Statistik sagt: Mehr als die Hälfte der Besucher kommen aus dem Ausland, die übrigen aus Basel oder dem Rest der Schweiz, die wenigsten aus Riehen.
«Die Fondation ist etabliert – man möchte sie nicht weghaben. Aber es gibt zuweilen auch Reibungen.» Claudia Pantellini, Bereichsleiterin Kultur, erzählt vom Sunset-Event Anfang September:
«Die Fondation versucht, vermehrt junges Publikum anzulocken. Ein DJ legte auf – im Park – und es kamen zwischen 3000 und 5000 Menschen.»
Der Ansturm war nicht zu bewältigen. Abfall und mangels genügender Toiletten noch andere Widrigkeiten rund um die Fondation waren die Folge.
Ein empörter Anwohner protestierte im Lokalblatt gegen den unzumutbaren Lärm, die versperrten Parkplätze: so nicht!
Wie ein UFO
«Die Fondation», sagt Maria Iselin, die lange als Basler Grossrätin, Gemeinderätin von Riehen und engagierte Stiftungsrätin der Fondation amtete, «dieses Museum kommt mir vor wie ein UFO, das in Riehen gelandet ist. Eine Traumwelt, von der die Einwohner und Einwohnerinnen sagen: Das ist gut so. Vor allem die einheimischen Politiker lassen sich gerne davor ablichten. Deren Elixier allerdings – die Kunst, die Schönheit des Ortes – nutzen sie viel zu wenig.»
«Unser Zuhause ist hier»
Sam Keller sieht das anders. Er ist seit zehn Jahren Direktor des Museums und stammt selber aus Riehen. Die Fondation sei im Dorf etabliert: «Die Einwohner kommen zu Besuch, sind stolz und schätzen das kulturelle Programm, auch das für ihre Gäste.»
Wenn man ihn auf das Verhältnis «kleines Dorf vis à vis Museum von Weltformat» anspricht, lächelt Sam Keller freundlich: «Es gibt kein ‹global› ohne ‹lokal›. Ein Baum muss Wurzeln haben und die haben wir hier, in Riehen. Das ist unser Zuhause.»
Unerwünschte Nebenwirkungen beseitigen
Auch Dissonanzen, wie zum Bespiel die Reklamationen wegen der Sunset-Events, wischen sein Lächeln nicht vom Gesicht: «Das ist normal unter Nachbarn: Die einen machen ein Grillfest und die andern finden, es rieche zu stark nach Cervelat.»
Die Veranstaltungen, erklärt er, dauern ja nur bis Sonnenuntergang. «Kein Mensch geht so früh schlafen, dass er damit in seiner Nachtruhe gestört werden könnte.» Abgesehen davon stünden sie im Austausch mit den Nachbarn, hätten deren Kritikpunkte aufgenommen und Massnahmen getroffen, die hoffentlich die unerwünschten Nebenwirkungen beseitigen.
Eine Beziehung auf Augenhöhe?
Das Dorf und das Museum: Wie innig ihr Verhältnis ist, wird sich zeigen, wenn die Baupläne für den Erweiterungsbau der Fondation von der Gemeinde abgesegnet werden müssen.
Auch wenn die Beziehung zwischen Dorf und Fondation wohlgepflegt ist: Ein Ungleichgewicht lässt sich nicht übersehen. Da ist auf der einen Seite die unglaubliche Dynamik dieses inzwischen weltberühmten Museums.
Auf der andern Seite ist die gemächliche Gangart des Dorfes. Dieses ist zwar stolz auf das Museum, fühlt sich manchmal aber auch etwas überrollt.
Eine Liebesbeziehung? Eher eine gut gepflegte Nachbarschaft, wo alle Beteiligten wissen, was sich gehört.
20 Jahre Fondation Beyeler
1982 gründete das Galeristen-Ehepaar Hildy und Ernst Beyeler aus Riehen eine Stiftung für ihre Sammlung. Während 50 Jahren sammelten sie 250 Werke moderner und zeitgenössischer Kunst, etwa von Cézanne, Monet, Giacometti und Klee. |
Von Beginn an wünschten sie sich für diese Werke ein Museum – und planten dieses in Riehen. |
Die Fondation Beyeler wurde von Renzo Piano entworfen und 1997 eröffnet. Bis 2003 war Ernst Beyeler Direktor. Er verstarb 2010. |
Heute ist die Fondation Beyeler das meistbesuchte Kunstmuseum der Schweiz. Dies auch dank grossen Sonderschauen. Dafür ist ein Drittel der 3800 Quadratmeter Ausstellungsfläche reserviert. |
Aktuell plant die Fondation den benachbarten Iselin-Weber-Park zu kaufen und dort eine Erweiterung zu bauen. |
Der Basler Architekt Peter Zumthor entwarf dafür das «Haus der Kunst». |
Die Gemeinde muss das noch absegnen. Baubeginn ist frühstens 2018. |