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Literatur Ab Herbst schlägt dem Zytglogge-Verlag ein neues Stündchen

Das neue Programm des renommierten Schweizer Verlags ist raus: Zytglogge setzt auf alt bewährte Namen. Leiter Thomas Gierl fährt damit eine Strategie der kleinen Schritte. Aber wann kommen jüngere, frechere Stimmen zum Zug?

Rückblick

Im Sommer vergangenen Jahres stand der Zytglogge-Verlag scheinbar vor dem Aus. Das Besitzerpaar Ramseyer kündigte an, sich aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen. Es verzichtete auf ein Frühjahrsprogramm 2015 und kündigte die bestehenden Arbeitsverträge mit den Angestellten.

Gespalten waren dann Anfang Dezember die Reaktionen in den Medien, als der Basler Schwabe-Verlag als künftiger Hauptaktionär von Zytglogge vorgestellt wurde – mit einem Deutschen als Verlagsleiter.

Ausblick

Mittlerweile ist offensichtlich, dass die Wechsel-Turbulenzen ein Sturm im Wasserglas waren, dass Zytglogge stabil steht wie der Turm im Firmenlogo: Zytglogge bleibt eine eigenständige Aktiengesellschaft, auch nach der offiziellen Stabübergabe an Thomas Gierl Anfang Juli 2015.

Der bisherige Doyen Hugo Ramseyer bleibt der Verlagsleitung als Minderheitenaktionär und Programmberater erhalten, er wird auch weiterhin Hausautoren betreuen. Soweit ist also für Kontinuität gesorgt.

Die Zukunftspläne weichen ebenso wenig von der bisherigen Verlagstradition ab: Auf dem Herbstprogramm steht der zweite Band der Zeitungskolumnen von Gerhard Binggeli und ein Hörbuch mit der mundartlichen Neufassung von Beat Brechbühls «Gschichte vom Schnüff» – Geschichten aus den 1970er-Jahren.

Neuausgabe aller Mani-Matter-Lieder

Nahaufnahme von Mani Matter.
Legende: Undatierte Aufnahme von Mani Matter, vermutlich aus dem Jahr 1972. Keystone

Ausserdem erscheint eine zeitgemässe Neuausgabe aller Mani-Matter-Lieder, längst überfällig, wie Verlagsleiter Thomas Gierl und Presseverantwortliche Claudia Schuh betonen. Matter zum Neustart, das dürfte ein gutes Omen sein. Denn der beliebteste aller Berner Troubadours spielte auch bei der Verlagsgründung 1965 eine wichtige Rolle.

Am Anfang waren die Troubadours

Der Zytglogge-Verlag entstand rund um die Berner Troubadours und das Kleintheater am Zytglogge-Turm in der Berner Altstadt. Hugo Ramseyer – damals selber einer dieser Liedermacher – und Rolf Attenhofer veröffentlichten zunächst Schallplatten der Troubadours, allen voran die von Mani Matter. Bald darauf folgten die Kabarettprogramme von Emil Steinberger. Zu den ersten Büchern des Verlags gehörten die Gedichte und Erzählungen von Ernst Burren, Mundartautor der ersten Stunde.

Später publizierten Autoren wie Franz Hohler, Gerhard Meier und Lukas Hartmann bei Zytglogge. Auch Sachbücher und politische Streitschriften, etwa von Hans A. Pestalozzi, erschienen hier. Zytglogge war bei der Mundartkultur ebenso eine wichtige Grösse wie bei der schriftdeutschen Schweizer Literatur, bei Sachliteratur und bei der Bernensia.

Was ist mit der jungen Mundart-Generation?

Seither hat der Verlag sein solides Programm kontinuierlich gepflegt. Aber seit einigen Jahren spielt die Musik eher anderswo, beispielsweise beim Berner Cosmos-Verlag oder beim Luzerner Verlag Der gesunde Menschenversand.

Spoken-Word-Autoren und Slam Poeten, die zusehends ihre Texte auch in Buchform veröffentlichen, stehen nicht im Torbogen dieses einstigen Leuchtturms der Schweizer Mundartliteratur. Immerhin: Mit den Mundartgedichten «S wird nümme, wies nie gsi isch» des Aargauer Autors Andreas Neeser wurde letztes Jahr ein vielversprechender Glockenton angeschlagen.

«Die Programmarbeit heisst ja nicht, alles sklavisch weiterführen, wie es immer gewesen ist. Man muss auch mit dem Programm leben, sich weiterentwickeln und dann auch junge Stimmen zu Wort kommen lassen», nimmt Leiter Thomas Gierl zum Programm Stellung. Für das Herbstprogramm steht der Name der Ostschweizer Autorin Tanja Kummer mit ihrem (schriftdeutschen) Roman für diese jungen Stimmen. Auf mehr davon, auch in der Mundartliteratur, warten wir gespannt.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.05.2015, 17:20 Uhr

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