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Literatur Das Leben lebt nicht in der Münchner Schickeria

Absurde Partymomente, skurrile Charaktere und viele Belanglosigkeiten: Der Experte für vertrackte Seelenlagen im Spätkapitalismus hat einen modernen Gesellschaftsroman geschrieben. Ernst Wilhelm Händlers «München» im Brennglas seines Interesses.

Warnung. Das ist nicht «Kir Royal», die vor geraumer Zeit so erfolgreiche TV-Serie mit einem lebenden Schriftsteller in der Hauptrolle und der bayerischen Landeshauptstadt als verlässlich schillerndem Ort der Handlung.

Obwohl es auch in diesem Gesellschaftsroman um die Verhaltensweisen der Münchner Schickeria geht und es an satirischen Szenen nicht mangelt, will Händler offenbar etwas anderes. Unklar bleibt am Anfang und am Ende nur, was? Sein «München» ist keine Komödie, das scheint sicher, aber was ist es dann?

Der Schriftsteller Ernst Wilhelm Händler spricht in ein Mikrofon.
Legende: Nimmt sich in seinem neuen Roman die Münchner Szene vor: Autor Ernst Wilhelm Händler. Imago

Thaddea Klock ist die Hauptfigur. Sie ist Erbin im Hauptberuf, mit zwei durchgestylten Häusern in Schwabing und Grünwald. Im Nebenerwerb ist sie Therapeutin mit einer eigenen Praxis, in die sich nur wenige Patienten verirren. Kata, die Architektin, hat die Häuser gebaut und ihre Freundin danach mit Ben Luca, dem Galeristen, betrogen. Thaddea ist Single und bleibt es in diesem Roman, bevor sie am Schluss noch kurz bei Pimpi landet, dem schnöseligen Sohn eines Immobilienhändlers.

Was hält diese Welt zusammen?

Ernst Wilhelm Händler war selbst Unternehmer und promovierter Ökonom, bevor er 1995 mit dem Erzählungsband «Stadt mit Häusern» debütierte. Er hat auch Philosophie studiert und ist durchaus daran interessiert, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Wirtschaft, das war ihm sicher, und so gleichen seine Romane Versuchsanordnungen zur ökonomisch-technischen Lage.

Seelenlagen im Spätkapitalismus. Das war so bei «Wenn wir sterben» mit drei Karrierefrauen in den mörderischen Übernahmekämpfen grosser Unternehmen. Und das blieb so bei seinem letzten Roman «Der Überlebende», der die Usancen eines Elektrokonzerns als einziges grosses Kontrollprojekt beschreibt.

Eindeutig und trotzdem ungefähr

«München», der Gesellschaftsroman ist anders. Auch hier gleicht das Personal dem Ensemble einer Versuchsanordnung. Nur kann die nicht viel durchdringen und triftige Aussagen zu modernen Bewusstseinslagen sind auch nicht zu erfahren. Obwohl reihenweise Klarnamen berühmter und bekannter Personen aus der Münchner Oberschicht vorkommen, verflüchtigt sich alles Geschehen im Skurrilen und Ungefähren.

Buchhinweis

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Ernst Wilhelm Händler: «München», S. Fischer Verlag, 2016.

Rhetorische Knalleffekte eingeschlossen, wenn Thaddea sich als Kind bewusst ein Auto über die Füsse fahren lässt, dem ersten Patienten in ihrer Praxis gleich das halbe Gesicht fehlt, oder in einer ausgreifend geschilderten Kunst-Aktion, die ehemalige DDR inklusive Schussanlagen am Grenzzaun wieder aufgebaut wird.

Das leblose Leben als Roman

Geradezu vernarrt ist dieser Roman in Aufzählungen derzeit angesagter Modelabels und den sehr diskreten Charme der Bourgeoisie. Seitenfüllende Nichtigkeiten, in die sich Händler mit einer Mischung aus Detailpräzision und leicht mokantem Abstand verliert.

«Das Leben lebt nicht», hatte der Philosoph Theodor Adorno schon vor Jahrzehnten festgestellt. Und dabei den Gedanken in seinem Hauptwerk «Minima Moralia» entfaltet. Sollte es Ernst Wilhelm Händler darum gegangen sein, die These vom leblosen Leben jetzt als Roman zu formulieren, so ist das gründlich schief gegangen. In dieser Form ist der Roman dafür ungeeignet. Jetzt wissen wir es.

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