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Bestseller «Ein wenig Leben» Ein Roman, einladend wie ein Schaumbad und glatt wie eine Barbie

Hanya Yanagihara geizt nicht mit grossen Gefühlen und erzählt clever. Doch die künstliche Roman-Welt wirkt wie aus «Schöner wohnen».

  • Der Roman «Ein wenig Leben» der US-amerikanischen Autorin Hanya Yanagihara löste einen Hype aus.
  • Der Roman erzählt von vier Jugendfreunden, die später äusserst erfolgreich werden.
  • Die Geschichte ist spannend erzählt – und doch so überspitzt, dass sie wie einer künstlichen Realität entnommen wirkt.

Freunde aus dem Studentenheim

«Lest dieses Buch! Ihr werdet nie mehr dieselben sein! Es wird euer Herz in tausend Stücke brechen!» – Tweets wie dieser machten Hanya Yanagiharas Buch im englischsprachigen Raum zum Bestseller. Und auch die Rezensionen zu «A Little Life», auf Deutsch «Ein wenig Leben», lesen sich wie Verlagswerbung.

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«Ein wenig Leben» von Hanya Yanagihara
aus 52 beste Bücher vom 05.03.2017. Bild: Jenny Westerhoff
abspielen. Laufzeit 55 Minuten 19 Sekunden.

Hanya Yanagihara lädt auf fast tausend Seiten dazu ein, in eine Männerfreundschaft einzutauchen. Willem, Jude, Malcolm und JB lernten sich als Jugendliche in einem Elite-College in Neuengland kennen. Sie teilten sich dort eine Wohnung im Studentenheim. Seither sind sie unzertrennlich.

Die Autorin

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Hanya Yanagihara, geb. 1974, ist eine US-amerikanische Autorin und Journalistin. «Ein wenig Leben» ist ihr zweites Buch. Es stand u.a. auf der Shortlist des Man Booker Prize, eine Verfilmung ist geplant.

Eintauchen wie in ein Schaumbad

Eine Art Langzeitstudie also, die die vier Männer bis in ihre Fünfziger begleitet. Literarisch kommt das zuerst recht betulich daher.

Collegejahre und Einstieg ins Berufsleben werden geschildert, wie man es auch aus anderen Romanen kennt. Schliesslich wird Willem Schauspieler, Jude Jurist, Malcolm Architekt und JB Maler.

Doch dann zersplittert die Handlung und das Buch operiert wie ein Abenteuerroman. Und das ist wohl einer der Gründe für seinen Erfolg.

In das Hin und Her von Zeiten, Schauplätzen und Perspektiven kann man eintauchen wie in ein Schaumbad. Man bekommt jede Menge Lesefutter. Suspense und Cliffhanger halten einen bei der Stange.

Der Albtraum hinter der Magie

Hanya Yanagihara schafft eine Art künstliche Realität: Es gibt in ihrem Roman nur Gut und Böse. Und es gibt nur Exzellenz. Die Lebensläufe der vier Freunde sind, zumindest oberflächlich gesehen, magisch: Willem gewinnt Oscars und Malcolm hochkarätige Architekturwettbewerbe rund um die Welt. JB bekommt seine Retrospektive im Whitney Museum und Jude wird ein Ausnahmejurist.

Buchhinweis

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Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben, Hanser Berlin, 2017.

Hier gibt's eine Leseprobe (PDF).

Dabei war sein Leben bis fünfzehn ein einziger Albtraum. Der brillante, vielseitig begabte, schöne und so überaus freundliche Jude ist nur die eine Seite der Medaille.

Die andere: Jude ist ein grosser Leidender. Er wurde als Baby ausgesetzt und, bis er aufs College kam, schrecklich misshandelt und sexuell missbraucht.

Freundschaft als alternative Liebe

Sein Leiden macht ihn zum Zentrum des Freundeskreises und auch zum Zentrum des Romans. Jude ist körperlich versehrt, das wird mit den Jahren immer schlimmer. Er verletzt sich selbst und sät Hilflosigkeit bei denen, die ihm helfen wollen. Er kann über seine Erlebnisse nicht sprechen, und die Freunde kreisen um ihn wie um das goldene Kalb.

Liebe trotz allem, Freundschaft, die über Liebe hinausgeht – dies ist durchaus ein Motto von «Ein wenig Leben». Hanya Yanagihara wollte über einen alternativen Lebensentwurf schreiben, der auch ihr eigener ist: keine Kinder, keine Ehe, Freundschaft als gleichwertige Form von Familie.

Ein Opfer wie eine Barbiepuppe

Allerdings ist sowohl dieses Konzept der Freundschaft als auch Judes Leiden derart überhöht, dass sich beim Lesen Unmut breit machen kann. Hanya Yanagihara wollte ihre Welt künstlich und in jeglicher Hinsicht speziell haben – aber muss sie wie «Schöner Wohnen» daherkommen?

Lesung

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Am 14. März liest Hanya Yanagihara im Literaturhaus Zürich aus ihrem Buch.

Verniedlicht all der Erfolg, die Kultiviertheit und die Liebenswürdigkeit Judes Leiden nicht? Und warum muss ein Opfer eigentlich so glatt sein wie eine Barbiepuppe?

Sicher, «Ein wenig Leben» ist eine Versuchsanlage. Mit der Realität hat der Roman nicht viel zu tun. Das zeigt sich schon darin, dass es keine zeitliche Vorortung gibt. Politik, Gesellschaft finden ganz einfach nicht statt. Psychologie wird ausgeklammert.

Im Zusammenhang mit dem Thema Kindsmissbrauch kann man das durchaus fatal finden. Und sich nach der Lektüre fühlen, als hätte man sich ein Dutzend Hollywoodfilme hintereinander reingezogen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, 52 beste Bücher, 05.03.17, 11:03 Uhr

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