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Literatur Eine TV-Jury sucht Nachwuchs-Schriftsteller

Das italienische Fernsehen sucht in einer Castingshow literarische Nachwuchstalente. Doch wie telegen müssen Schriftsteller eigentlich sein? Und kann man auf diesem Weg wirklich talentierte Autoren entdecken?

Im deutschsprachigen Fernsehen werden in unzähligen Castingshows Talente gesucht - gewöhnlich geht es darum, stimmgewaltige Sängerinnen und Sänger zu entdecken. Dass die Zuschauer früher oder später genug bekommen von den allgegenwärtigen Gesangs-Castings, scheint absehbar. Es ist deshalb verständlich, dass TV-Produzenten versuchen, das Erfolgskonzept der Castingshows auf andere Themen zu übertragen.

Gesucht werden deshalb auch Models, Tänzer oder Köche. Und das italienische Fernsehen widmet sich nun einer weiteren Berufsgruppe: Den Schriftstellern. «Masterpiece» – Meisterwerk – heisst das Format, das seit Mitte November am späten Sonntagabend auf Rai 3 läuft. Der dritte öffentlich-rechtliche Sender ist bekannt für die gehaltvollsten Nischensendungen, die das italienische Fernsehen zu bieten hat.

Riesige Erstauflage

«Masterpiece» ist nach bewährtem Talentshow-Muster gestrickt: Vor einer grimmigen Jury müssen sich nervöse Möchtegern-Autoren behaupten. Als Preis lockt die Publikation des eigenen Romans beim bekannten Verlag Bompiani – in der stolzen Auflage von 100'000 Kopien. Diese Zahl ist beeindruckend, denn auf dem italienischen Buchmarkt gilt ein Erstling bereits bei 10'000 verkauften Exemplaren als Erfolg.

Die Jury setzt sich aus Bestseller-Autor Andrea de Carlo, aus dem Richter und Krimi-Autor Giancarlo de Cataldo und der britischen Schriftstellerin Taiye Selasi zusammen – Letztere dient mit ihren wilden Afro-Haaren und den hautengen Lederhosen auch als Blickfang.

Exotische Biografien

Als erster tritt Daniel, 31, vor die Jury und wird auf Herz und Nieren getestet. «Daniel, stimmt es, dass Sie eigens ins Irrenhaus gingen, um für Ihren Roman zu recherchieren?» wird der Journalist von der Jury gefragt- dabei wurde er dort selbst behandelt. Dass Daniel psychische Probleme, keinen Job und kaum Sex hat, weiss die Zuschauerin schon nach wenigen Minuten. Von seinem Roman hören wir kaum mehr als 20 Sekunden.

Auf Daniel folgt eine kämpferische Fabrikarbeiterin, später ein geschniegelter Anwalt. Und der Verdacht kommt auf, dass in «Masterpiece» nicht so sehr Texte, sondern exotische Biografien präsentiert werden. Warum die Jury für oder gegen einen Roman stimmt, erschliesst sich dem Zuschauer nicht. Denn für Argumentationen bleibt keine Zeit. Doch anders als bei Gesangs-Castings können die Zuschauer beim Schriftsteller-Casting ohnehin nicht mitreden – ihnen fehlen schlicht die diskutierten Texte.

Schreiben unter Zeitdruck

Interessanter wird es deshalb erst in der zweiten Runde: Die vier Auserwählten müssen in 30 Minuten einen literarischen Text zu einem bestimmten Thema schreiben – und ihn dann vortragen. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen und es wird nun auch für die Zuschauerin ersichtlich, wer womöglich tatsächlich literarisch etwas zu bieten hat.

Die Frage, ob es eine Talentshow für Autoren wirklich braucht, stellt sich dennoch weiterhin. Nicht mal die Hälfte der Italiener lese Bücher, sagte Jury-Mitglied de Cataldo vor dem Start des neuen Formats. «Wir müssen alles tun, um das Buch zu retten. Sogar eine Casting-Show.» Ob «Masterpiece» zum Lesen animiert, ist allerdings fraglich. Auch der Unterhaltungswert der Sendung ist gering. Und wenn Andrea de Carlo als italienischer Dieter Bohlen einer Kandidatin ihr Buch hinterherschmeisst, dann ist das nur etwas: unerträglich.

Gradmesser für die Fernsehtauglichkeit

Eine Funktion könnte die Sendung jedoch haben: «Masterpiece» könnte für angehende Schriftsteller ein Gradmesser für die eigene Fernsehtauglichkeit sein. Heute, da Autoren für ihre Verlage oftmals die Werbetrommel rühren müssen, kann Fernsehtauglichkeit nicht schaden.

Nur sollte nicht vergessen gehen, wie relativ dieses Kriterium ist. Anders als Sänger und Supermodels müssen Schriftsteller gemeinhin nicht im Rampenlicht stehen. Ein Eigenbrötler wie Franz Kafka etwa, oder ein zurückgezogen lebender Autor wie Gerhard Meier wären bei «Masterpiece» wohl schon in der Vorrunde ausgeschieden. Beide haben wahre Meisterwerke geschrieben.

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