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Literatur Jüdische Exilgeschichte neu erzählt

In seinem neusten Roman beschreibt der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer das Schicksal eines Filmstars der Zwischenkriegszeit, die Einsamkeit des Exils und die Wirren der europäischen Katastrophe. «Postskriptum» ist der geglückte Versuch, eine alte Geschichte neu zu erzählen.

Januar 1933. Der Filmstar Lionel Kupfer ist Gast im Hotel Waldhaus in Sils Maria. Dort will er sich erholen und auf seinen nächsten Film vorbereiten. Dann übernehmen im fernen Berlin die Nazis die Macht. Als Jude ist Lionel Kupfer in Deutschland nicht mehr erwünscht. Das Waldhaus wird er sich aber nicht Jahrzehnte lang leisten können.

Ansichten: Schweizer Literatur

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Legende: SRF / LUKAS MAEDER

Mehr zu lesen, hören und sehen über Alain Claude Sulzer gibt's auf unserer Literaturplattform «Ansichten».

Ausserdem ist es ausgerechnet sein Lebenspartner Eduard, der immer näher an die neuen Machthaber heranrückt und ihm die schlechte Nachricht überbringt: Der Vertrag für den nächsten Film sei aufgelöst.

Oberflächlich und gleichgültig

Kupfer verlässt Europa, zieht nach New York, die Einsamkeit des Exils beginnt. Er lässt nicht nur ein angenehmes Leben und einen opportunistischen Lebenspartner zurück, sondern auch einen Geliebten. Walter, ein junger Postangestellter aus einfachen Verhältnissen, der alle erdenklichen Hebel in Bewegung setzte, um in Sils Maria den grossen Filmstar und begehrten Mann kennenzulernen. Eine kurze, intensive Begegnung folgte, eine Affäre – möglicherweise mit dem Potential einer grossen Liebe. Doch Kupfer liess die Chance ungenutzt. Zu oberflächlich geht er mit Menschen um, zu gleichgültig sind sie ihm damals noch.

In New York ändert sich das. Kupfer ist geläutert von den Jahren im Exil, alt und reif geworden – und schlussendlich doch mit Glück gesegnet: Er darf Theaterstücke spielen und Filme drehen. Kupfer wird er aufmerksamer, offener, feiner und vor allem demütiger. Anderen genauso wie sich selber gegenüber. Ein Comeback als Künstler und als Mensch.

Der Reiz liegt in der Erzählweise

Die Geschichte, die Alain Claude Sulzer in «Postskriptum» erzählt, ist bekannt. Es gibt genug reale Beispiele. Den Schauspieler Alexander Granach oder den Feuilletonisten Alfred Polgar, nur um zwei von ihnen zu nennen: Intellektuelle mit Wurzeln tief in der alten Doppelmonarchie. Jüdische Künstler, die das deutsche Geistesleben der Zwischenkriegszeit prägen, erfolgreich sind und aufgrund von Flucht und Exil die Sprache, die Heimat und die Existenz verlieren. Doch der Reiz von Alain Claude Sulzers Buch liegt ohnehin nicht in der Geschichte. Der Reiz liegt darin, wie er die Geschichte erzählt.

Buchhinweis

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Alain Claude Sulzer: «Postskriptum», Galiani Verlag 2015.

Der Schweizer Autor erzählt aus drei Perspektiven: Aus der Lionels, aus der des Geliebten und aus der der Mutter des Geliebten. Er bleibt dabei ganz nah an den Figuren. Sie leiten ihn. Sie leiten die Geschichte. Die vielen Details, unvorhergesehen und überraschend, machen aus der altbekannten Geschichte eine neue. Alain Claude Sulzer, der Erzähler, lässt sich beim Erzählen von ihnen lenken. Und er tut gut daran.

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