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Liebesbriefe Bettina Oberli an Paula Modersohn-Becker

Die Schweizer Filmemacherin Bettina Oberli liebt die Bilder von Paula Modersohn-Becker und bewundert an der deutschen Wegbereiterin des Expressionismus, dass sie ihrer Zeit weit voraus war, wenig Unterstützung fand, nie aufgab. Sie geriet in Vergessenheit. Zu Unrecht!

Paula Modersohn-Becker

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Legende: Wikimedia

Paula Modersohn-Becker kam 1876 in Dresden zur Welt und war eine deutsche Malerin. Nach einer Ausbildung zur Lehrerin widmete sie sich ganz der Malerei; Studien führten sie nach London, Berlin und Paris. Modersohn-Becker gilt als Wegbereiterin des Expressionismus. Sie starb 1907 nach der Geburt ihrer Tochter.

Liebe Paula Modersohn-Becker

Es ist eine ganze Weile her, seit ich das letzte Mal von Dir gehört habe. Um ganz genau zu sein, habe ich noch nie etwas von Dir gehört.Aber das ist nicht so schlimm. Denn durch Deine Bilder habe ich das Gefühl, trotzdem viel von Dir zu wissen.

Dein Name war mir immer schon ein Begriff. Irgendwann als Kind habe ich gemerkt, dass alle berühmte Maler Männer sind. Einmal fragte ich meine Grossmutter, selber Tochter eines Kunstmalers, warum das denn so sei, und ich fragte sie auch, ob Frauen nicht malen könnten. Doch, da habe es eine Frau gegeben, meinte meine Grossmutter, die Paula Modersohn-Becker, eine Deutsche, und die habe wunderbar gemalt.  

Das habe ich dann auch entdeckt: Deine Bilder von Menschen mit grossen Augen, farbigen Kleidern, mit kräftigen, mutigen Strichen gemalt waren so anders als die Kunst, die Dich zu Deiner Zeit umgeben hat. Man sagt, Du seist Deiner Zeit voraus gewesen, Deine Kunst wurde nicht verstanden. Aber vielleicht war Deine Kunst eben gerade so gut, weil sie die Kraft aus den Widerständen geschöpft hat, und deswegen warst Du zur genau richtigen Zeit auf der Welt.

Dein Leben bestand aus gegensätzlichen Polen, und Du wurdest immer wieder in alle Richtungen gezogen: Da waren das abgeschottete Landleben und die Grossstadt Paris, da waren unterschiedliche Männer, da waren Leben und Tod, da war Deine Rolle als Frau inmitten von Männern als Künstlerin in einer ablehnenden Welt, und im Zentrum von allem war Deine wirklich grosse Liebe: das Malen, der Drang zu erschaffen.

Reihe «Liebesbriefe»

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Für Radio SRF2 Kultur öffnen Schweizer Schriftstellerinnen, Maler, Filmemacherinnen und Regisseure ihr Herz. Sie schreiben in unserer Serie Liebesbriefe an andere Künstlerinnen und Künstler, die ihnen viel bedeuten. Ein Blick durchs Schlüsselloch in die Privatgemächer der Kreativität: Wer liebt wen? Und warum? Und ist das schon Inspiration?

In meiner Welt ist hundert Jahre später bestimmt vieles einfacher. Dennoch fühle ich eine Nähe zu Dir, weil mich ähnliches umtreibt, weil ich Deine Sehnsucht nach so viel wie möglich von allem verstehe. Und ich bewundere Dich dafür, dass Du trotz aller Schwierigkeiten weitergemalt hast, unbeirrt, stur, immer ein noch schöneres Bild im Kopf, das auf die Leinwand musste.

Bestimmt hast Du Deine Umwelt mit Deinem Lebensdrang auch überfordert. Doch Du hast gespürt, dass Du keine Zeit zu verlieren hast. Du musstest Dich beeilen, zu viel gab es zu tun, zu malen, zu erleben. Es scheint mir, als hättest Du so viel Leben wie möglich in eine zu kleine Tüte gepackt.

Liebe Paula, Du bist nur 31 Jahre alt geworden und an dem gestorben, was Du Dir sehr gewünscht hast: an der Geburt Deines einzigen Kindes.

Audio
Susanne Abelein liest den Liebesbrief von Bettina Oberli
02:45 min
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 45 Sekunden.

«Wie schade.» Das sollen Deine letzten Worte gewesen sein.

Ja, wie schade.

 

Deine Bettina Oberli

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