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Liebesbriefe Ruth Schweikerts Bewunderung und Neid für Louise Bourgeois

Die Schweizer Schriftstellerin Ruth Schweikert schreibt über ihre Bewunderung für die Künstlerin Louise Bourgeois. Schweikerts Faszination gilt der Unabhängigkeit und der Ambivalenz im Leben von Louise Bourgeois. Eine Ambivalenz, die auch in deren Werk spürbar ist.

Sehr geehrte Louise Bourgeois,

Louise Bourgeois

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Legende: Wikimedia

Louise Bourgeois wurde 1911 in Paris geboren und war eine französisch-amerikanische Bildhauerin. 1939 siedelte sie nach New York über, wo sie international erfolgreich wurde. Zu ihren berühmtesten Werken gehören die überdimensionierten Spinnenskulpturen mit dem Namen «Maman». Bourgeois starb 2010 in New York.

Sie sehen, ich habe das Bedürfnis nach ein wenig Formalität, wenn ich Ihnen schreibe; man könnte sich fragen, warum ich es nicht getan habe, solange Sie lebten, ein langes, arbeits- und im fortgeschrittenen Alter auch erfolgreiches Leben als Künstlerin, angetrieben, so scheint es, von den Verletzungen und Kränkungen, die Sie als Mädchen erfahren hatten; der Vater, so sagten Sie, nahm Sie als Mädchen nicht ernst, und er hinterging Ihre geliebte Mutter, indem er zehn Jahre lang eine Liaison mit dem englischen Kindermädchen unterhielt.

«Ich vergebe nicht und ich vergesse nicht»; das war bis ins hohe Alter Ihr Mantra; dass Sie ausgerechnet dafür geliebt werden wollten, kann ich mir nicht vorstellen. Also keinen Liebesbrief von mir für Sie, eher eine Nacherzählung meiner Bewunderung, mit etwas Neid gewürzt; ich stelle mir Sie gern als unabhängige Person vor, nicht angewiesen auf Anerkennung und einigermassen immun gegenüber Kritik; einzig dem Anspruch verpflichtet, den Sie selber an Ihre Arbeit stellten.

Ausserdem bilde ich mir ein, der späte Welterfolg habe Ihrer Arbeit nicht den Stachel genommen, Sie nicht auf billige Weise versöhnt mit der Welt.   

Reihe «Liebesbriefe»

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Für Radio SRF2 Kultur öffnen Schweizer Schriftstellerinnen, Maler, Filmemacherinnen und Regisseure ihr Herz. Sie schreiben in unserer Serie Liebesbriefe an andere Künstlerinnen und Künstler, die ihnen viel bedeuten. Ein Blick durchs Schlüsselloch in die Privatgemächer der Kreativität: Wer liebt wen? Und warum? Und ist das schon Inspiration?

Was Sie einmal über Ihre Arbeit formuliert haben, ist mir in Fleisch und Blut übergegangen; ich kann es auswendig, par coeur: «My early work is the fear of falling. Later on it became the art of falling; later on it became the art of hanging in there.» Daran versuche ich mich beim Schreiben zu halten, hanging in there; erst jetzt habe ich die Übersetzung dafür nachgeschaut, «am Ball bleiben, nicht aufgeben» steht da, während ich mir jahrelang vorgestellt habe, wie Du, Louise Bourgeois, selber im Dazwischen hängst, am Seil oder in den Seilen wie Deine Fleischstücke; in der Ambivalenz verharrend, die Angst vor dem Fallen aushaltend ebenso wie dem Wunsch, Dich fallen zu lassen, nicht nachgebend; eine Ambivalenz, wie sie auch Deine vielleicht bekanntesten Werke charakterisieren, die überdimensionierten Spinnen, vor denen man Angst hat, die aber auch den Lebensfaden weben und einem ein Dach über dem Kopf gewähren.

Audio
Liebesbrief von Ruth Schweikert, gelesen von Susanne Abelein
aus Kultur kompakt vom 11.01.2013.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 42 Sekunden.

Liebe Louise, nun bin ich doch beim Du gelandet – und bei der Dankbarkeit; seltsam genug, aber so empfinde ich es, ich möchte Dir danken für das, was Du in deinem Werk mit uns teilst: Den Schmerz und die Wut und die Kraft des Lebens selbst.

Sei von ferne herzlich gegrüsst

Deine Ruth

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