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Ein Mann sitzt auf einem Balkon. Sie Sonne scheint auf seinen nakten Oberkörper.
Legende: Lydia David benötigt wenig Worte, um Alltagsdramen sichtbar zu machen. Photocase

Lydia Davis' neue Geschichten Wichtig ist, was sie verschweigt

Den Man-Booker-Preis hat Lydia Davis 2013 erhalten, als erste US-Amerikanerin. Sie schreibt Geschichten, die so eigenwillig sind, dass sie fast ein eigenes Genre bilden: Prosaminiaturen, Kürzest-Geschichten. Davis' Band «Samuel Johnson ist ungehalten» ist nun auf Deutsch erschienen.

«Langweilig» ist ihr Lieblingswort, langatmig ist sie nie. Sie schreibt kurz, sehr kurz, ohne viel stofflichen Aufwand und nah an der gewöhnlichen Sprache. Sie will nicht langweilen und nicht auftrumpfen, mit dem was sie zu sagen hat.

Wenig Stoff, wenig Zierrat. Aber das Tempo ist ihr wichtig und die Auslassung – das, was sie nicht sagt.

Lydia Davis

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Ein Satz reicht oft schon

Lydia Davis setzt Momente zum Weiterdenken in ihre knappen Stories. Sie sammelt Notizen des Alltags, vermischte Nachrichten aus einer seltsamen Wirklichkeit.

Eine Geschichte in einem Satz. Das reicht oft schon. Ein kurzes Aufmerken und alles ist gesagt, jedenfalls für den Moment.

Drei Sätze, acht Zeilen, ein paar Seiten genügen ihr, um Paare zu beschreiben, die es mit sich und ihrer Umgebung nicht aushalten. Oder eine alte Frau, die aus Scham über ihren sozialen Abstieg nach und nach in ein Delirium des Tötens verfällt, oder einen Arzt, der an den Folgen einer Fehldiagnose scheitert und jeden Halt verliert.

Alles geschildert in einem Ton des sachlichen Nebenbei. Stille Neurosen sind Davis' Thema, Männer und Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Komisch und sarkastisch

«Langweilige Freunde» ist die erste Geschichte im neuen Davies-Buch, das bereits 2001 im Original erschien, aber erst jetzt übersetzt wurde. Nur ein paar Zeilen machen ein Sozialdrama, in dem die Personen gefangen sind. Nichts passt zusammen, nur Fremdheit und Misstrauen. Paare, Nachbarn, Freunde in einem Strudel der Befangenheit.

Das ist dann auch komisch, aber von ziemlich sarkastischer Art. «Wir wissen, dass wir etwas ganz Besonderes sind: Aber immer wieder versuchen wir herauszufinden, inwiefern: in dieser Hinsicht nicht, in jener Hinsicht auch nicht, aber inwelcher Hinsicht dann?» Ja, in welcher Hinsicht? So bleibt der Zweifel in dieser Geschichte unter dem Titel «Etwas Besonderes».

Buchhinweis

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Lydia Davis: «Samuel Johnson ist ungehalten» – Stories, Droschl Verlag, 2017.

Variationen eines Beschwerdebriefs

Der Zweifel, der in vielen Davis-Stories die alltäglichen Gewissheiten sanft unterläuft. Lydia Davis, die in Albany «Creative Writing» lehrt, schreibt auch Stilübungen. Variationen von Themen, von Sätzen in einer Geschichte.

Den «Beschwerdebrief» hat sie so zu einer eigenen Literaturform gemacht. Hier ist das Wort «Kremage» der Auslöser ihrer Beschwerde und ein Bestattungsunternehmen ihr Adressat.

Unter den vermischten Mitteilungen in Lydia Davis' Erzählungen ist auch ein seltsames Einzelstück. Unvermittelt steht es unter den anderen. Es beschreibt das Leben der Radiologin Marie Curie in einer Folge kurzer Szenen voller Leuchtkraft und Empathie.

Zur Titelgeschichte über Samuel Johnson reicht dann wieder nur ein Satz: «Samuel Johnson ist ungehalten, dass Schottland so wenige Bäume hat.»

Loriot hätte jetzt «Ach?» gesagt. Das muss genügen.

Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 4.10.2017, 8.20 Uhr.

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