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Literatur Neue Momente von Martin Walsers literarischem Double

So wie ein Pianist seine Fingerfertigkeit übt, so macht der Schriftsteller Martin Walser seine regelmässigen Schreibübungen. Dies in Form von Notaten, Aphorismen und Sentenzen. Dazu erschuf er sich eine Art Doppelgänger. «Messmers Momente» ist das dritte Buch in dieser Reihe.

1985 setzte Walser seinen Doppelgänger mit der Premiere «Messmers Gedanken» erstmals in die Welt, 2003 folgten «Messmers Reisen». Aus demselben philosophisch-aphoristisch zugespitzten Denkstoff ist auch der dritte Messmer-Band entstanden. Messmer ist die Kunstfigur, der Schriftsteller Walser in den Mund legt, was ihn ausserhalb seiner Romanarbeit umtreibt, nämlich das Nachdenken über den Tod, die Liebe und die Kunst.   

Buchhinweis

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Martin Walser: «Messmers Momente». Rowohlt Verlag, 2013.

Walsers Ich auf Papier

Wer ist Messmer? Eine Romanfigur aus einem ungeschriebenen Roman, die ein Eigenleben führt? Sich so ihre Gedanken macht? Wenn nicht alles täuscht, ist Messmer doch das Naheliegendste: Ein zweites Ich, ein Doppelgänger seines Autors Martin Walser. Walser selbst bringt es so auf den Punkt: «Ich muss mich auf dem Papier festhalten, weil ich nirgends sonst möglich bin.»

Schon in «Messmers Gedanken», wurde die Titelfigur heimgesucht von Einfällen, Einsichten, Beobachtungen, die diese sich vom Leibe zu halten versucht hatte. Im dritten Messmer-Band ist der Solist mehr denn je eine Maske Walsers, hinter welcher sich der Autor jederzeit verbergen kann. Aber Messmer sorgt auch dafür, dass Martin Walser nicht immer auf Augenhöhe mit jenem ist. Das kann bis zur Flucht in den Selbstverdruss führen: «Sich zusammenfalten, verkleinern. Bis du ein Knäuel bist und hart.»

Stellvertreterkampf mit aller Welt

Von da ist es nicht mehr weit zur Wehklage, zum Lamento des unzertrennbaren Duos Messmer-Walser: «Ich zu sagen tut weh. Ich bin die dritte Person. Und der ist mit mir per Sie, auch wenn er mich aufdringlich duzt.» Manchmal wird es einem zu viel an privatem Weltschmerz, der resignativ untermalt ist, sich mit der Ausflucht paart und dann doch wieder aufbegehrt. Denn da heisst es: «So viel Kraft, jemanden zu schonen, habe ich nicht.»  

Ja, Messmer ist in der Tat weiter gealtert. Er phantasiert darüber, sich aufzugeben, sich in eine Krankheit zu flüchten, die paradoxerweise Rettung böte vor den eigenen Ansprüchen: «Wenn ich krank wäre, wäre ich gerettet.» Dieses Gefühl, der Welt nicht entsprechen und nicht genügen zu können, ist das Grundbefinden in «Messmers Momente». Walsers Romanpersonal, die Anselm Kristlein («Halbzeit»), Franz Horn («Jenseits der Liebe») und Gottlieb Zürn («Das Schwanenhaus») ficht auch den Stellvertreterkampf mit aller Welt aus. Wohingegen Walser-Messmer ausserhalb der verschlungenen Romanwelt viel direkteren Zugriff auf die scharfe Quintessenz hat.

Zwischen Selbstzweifel und Selbstbehauptung

Klage, Sinn- und Hoffnungslosigkeit dominieren die neuen Messmerschen Wortmeldungen. Ab und an blitzt etwas Selbstironie auf. Aber dieser werden gleich wieder die Zähne gezogen: «Ich liege, das Gesicht nach unten, und lache ohne Geräusch. Man könnte sagen: in mich hinein. Weil ich nicht weiss, warum ich lache, verberg ich es. Auch find ich, Lachen steht mir nicht.» Messmers Beteuerungen schwanken hin und her zwischen ohnmächtigem Selbstzweifel, ja Resignation und trotziger Selbstbehauptung.

Audio
Martin Walser: Messmers Momente
aus Kultur kompakt vom 20.03.2013.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 53 Sekunden.

In diesen stärksten Momenten gibt der 86jährige Autor nochmals ziemlich ungeschützt den angriffslustigen Moralisten, der vor allem sich selbst trotzig behauptet. Da ist Walser erfrischend kämpferisch und produktiv rechthaberisch. Am nächsten ist Walser-Messmer sich selbst, wenn er sagen kann: «Ich bin eine abgewählte Regierung, die nicht geht.» Aber flugs konterkariert er alles, was sein Buch ausmacht. Nämlich den Zweifel und den Trotz. Und zwar mit zwei schlichten Hauptsätzen, die sinnigerweise am Schluss des Buches stehen: «Das Leben lacht. Mich aus.»

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