Mit «Waldes Dunkel» bleibt die US-amerikanische Autorin Nicole Krauss ihrem Schema treu: Viel jüdische Kultur und mehrere Erzählstränge, die sich nur in ganz wenigen Punkten treffen. In ihrem letzten Roman war der Knotenpunkt ein alter Schreibtisch, der vier Figuren zusammenbrachte.
Diesmal sind es nur zwei Hauptfiguren, die sich nicht wirklich treffen. Doch ihre Geschichten ähneln sich. Beide ziehen von New York nach Israel los, beide sind auf der Suche nach sich selbst.
Die Nase voll
Einmal ist da ein reicher Anwalt, der nach der Scheidung die Nase voll hat von seinem Leben. Er verschenkt sein ganzes Vermögen und mietet sich eine Bruchbude am Stadtrand von Tel Aviv.
Die andere Figur ist Schriftstellerin und auf der Flucht vor ihrer verkorksten Ehe. Im Hilton in Tel Aviv will sie einen neuen Roman schreiben. Doch dann gerät sie auf metaphysische Abwege. Aus dem Roman wird nichts.
Eine Welt der Déjà-Vus
In diesen Abwegen liegt die Qualität von «Waldes Dunkel». Nach und nach wird vor allem der Figur der Schriftstellerin klar, dass es neben der realen Welt noch eine Welt der Déjà-Vus gibt.
Sie betritt einen Raum und sieht sich darin schon selbst in einer Ecke auf dem Sessel sitzen. Oder sie erfährt, dass sich ein Mann vom Dach des Hilton gestürzt hat. Erst am Ende ihres Aufenthalts geschieht es dann wirklich: Sie beobachtet, wie ein Mann vom Dach des Hotels springt.
Hier verschwimmen die Grenzen von Realität und Vorstellung immer weiter. Das treibt die Figuren im Buch so stark um, dass diese Suche nach einer anderen Welt, einer Welt der Unsicherheit, die sich in Dunkelheit hüllt, das Hauptthema dieses Buchs ist – der Titel «Waldes Dunkel» wird zum Programm. Clever spielt Nicole Krauss mit Elementen aus der fantastischen Literatur, schreibt aber nicht einfach einen traditionellen fantastischen Roman à la E.T.A. Hoffmann.
Kafka, Freud und Metaphysik
Ihr Roman stösst aber auch an seine Grenzen. Denn mit der Unsicherheit allein ist es für Nicole Krauss noch lange nicht erledigt. Sie lädt dermassen viele Themen in ihren Roman, dass man den dunklen Wald vor lauter Bäumen aus den Augen zu verlieren droht.
Kafka, Freud, der Konflikt zwischen Israel und Palästina, Literaturtheorie, Mystik und Metaphysik – all das will Krauss hier unter einen Hut bringen. Leider verpasst sie es, ihren Wust an Stoff wenigstens sprachlich gut fassbar zu machen:
«Was, wenn nicht wir uns durch den Raum, sondern der Raum sich durch uns bewegte, sich aus unserem Geist entspönne? Und wenn alldem so wäre, wo läge dieser Ort, von dem aus wir träumen? In einem Behältnis im Nicht-Raum? In einer Dimension, die uns nicht bewusst ist? Oder irgendwo in der einen endlichen Welt, aus der Milliarden von Welten geboren wurden und geboren werden, ein einziger Ort, der für jeden von uns verschieden ist, so gewöhnlich wie jeder andere?»
Klischees statt Tiefgang
Es mag an der Übersetzung liegen. Doch der Verdacht drängt sich auf, dass Nicole Krauss auf eine Sprache bedacht war, die möglichst viel Intellekt widerspiegeln soll.
Sie erreicht das Gegenteil. Solche Passagen – und es gibt in «Waldes Dunkel» viele davon – wirken künstlich. Sie muten bestenfalls pseudo-philosophisch an und klingen eher nach klischiertem Geschwafel als nach echtem Tiefgang.