Ida Bauer entspricht keineswegs dem Klischee der braven Tochter aus gutem Hause: Sie ist launisch, zuweilen auch frech. Sie raucht intensiv und möchte so unabhängig und selbstbestimmt durchs Leben gehen wie ihr Bruder Otto.
Dieser besucht – anders als sie – die Schule und macht später eine politische Karriere bei den Sozialdemokraten.
Rätselhafte Symptome
Das enge weibliche Rollenbild ihrer Zeit weist Ida immer wieder in die Schranken. Kein Wunder, reagiert sie schon als Jugendliche mit rätselhaften Symptomen: Schwindelanfälle, Migräne, Heiserkeit oder Bauchschmerzen.
Über Umwege landet Ida 1900 in der Praxis des damals noch weitgehend unbekannten Psychiaters Sigmund Freud. In ihrem Roman schildert Katharina Adler, wie ihre Urgrossmutter der Cousine von den Therapiestunden erzählt:
Freud benütze kein medizinisches Instrumentarium, er wolle sich nur mit ihr unterhalten. Dabei dürfe er sie aber nicht ansehen; er sitze hinter ihr, während sie auf dem Diwan liege und mit geschlossenen Augen berichten müsse, was ihr durch den Kopf ginge.
Als Sigmund Freud Ida weissmachen will, dass ihre Krankheiten mit verdrängten sexuellen Begierden zusammenhängten, läuft sie ihm verärgert aus der Sprechstunde davon, «weil der Psychiater alles verdrehte, bloss um im Recht zu bleiben.»
Freuds berühmteste Patientin
Katharina Adler ist im Rückblick überzeugt, dass Ida – damals noch kaum aufgeklärt und Freud intellektuell klar unterlegen – von dessen Theorien völlig überfordert gewesen sei.
Er – verärgert über Idas Weigerung, die Therapie fortzusetzen – verarbeitet ihre Krankengeschichte in «Bruchstücke einer Hysterie-Analyse» und macht sie damit zu einer der berühmtesten Patientinnen des 20. Jahrhunderts.
Intensive Recherchen
Fünf Jahre lang hat Katharina Adler an der Lebensgeschichte ihrer eigenwilligen Urgrossmutter gearbeitet und aus «Familienanekdoten, Fundstücken und Imagination» geschickt ein Ganzes gewoben. Stets sei sie überzeugt gewesen, dass dies eine «erzählenswerte Geschichte» sei und zwar «dezidiert auch jenseits von Freud».
Genau darin besteht die Qualität dieser Romanbiografie: Es gelingt der Autorin, die widerspenstige Persönlichkeit von Ida, vor dem Hintergrund einer wechselvollen Zeit in Europa, zum Leben zu erwecken.
Und zu zeigen, wie sie, trotz ihrer Begrenzungen, mutig und konsequent ihren Weg geht: als Frau und Jüdin, die einen brotlosen Komponisten heiratet, aus politischen Gründen einen sozialen Abstieg durchlebt, einen Bridgeclub als Spielcasino führt und dann mit einem der letzten Schiffe nach Amerika emigriert.
Dass wir in diesem Buch auch einigen Notizen von Sigmund Freud über Ida begegnen, bereichert die Lektüre. Wir staunen, wie unterschiedlich Arzt und Patientin offensichtlich den «Fall Dora» eingeschätzt hatten.