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Schreiben trotz allem «Ich bin behindert, nicht doof»

Geistig beeinträchtigt und dennoch Autorin: Zu Besuch bei einer jungen Frau, die zwar nicht sprechen kann, aber viel zu erzählen hat.

Die junge Frau mit kurzen, braunen Haaren sitzt nervös an einem Tisch. Jasmin Wipfli ist 26 Jahre alt. Sie hat eine starke Sehstörung und eine geistige Beeinträchtigung.

Aber vor allem schreibt Jasmin Wipfli Geschichten und Texte.

Tippen statt sprechen

«Ich bin behindert, nicht doof.» Das möchte die junge Frau klarstellen. Sagen kann sie es nicht, denn das Sprechen hat sie nie erlernt. Aber sie kann es auf einem Holzbrett Buchstabe um Buchstabe tippen.

Auf diese Weise schreibt Wipfli auch ihre Texte. Ihre Begleiterin Vreny Flückiger stützt ihr dabei den Arm. Die Sozialpädagogin wiederholt dann mündlich, was Jasmin schreibt, und überträgt es auf Papier.

Leseprobe: «Jeder Augenblick zählt»

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Es waren einmal grosse, blaue Augen.

Sie lebten glücklich im Menschen drin.

Immer wenn sie mit jemandem sprachen, klimperten sie mit den Augen.

Das brauchte viel Energie, weil sie immer austrockneten.

Aber sie waren geschickt, weil sie selber Flüssigkeit produzieren konnten.

Tatsächlich folgten immer wieder trockene Zeiten.

Das machte ihnen das Leben schwer.

An einem schönen Tag gingen sie nach draussen zum Spielen mit dem Kind.

Sie waren vergnügt und froh beim Spiel.

Plötzlich sprangen sie aus der Augenhöhle.

Das gefiel ihnen selbständig zu sein und frei herumzuwandern.

Auch zum Wasser wollten sie gehen.

Das würde ihr Feuchtigkeitsthema lösen.

Voller Freude hüpften sie ins Wasser.

Sie wussten aber nicht, dass sie nicht schwimmen konnten.

Das war fast ihr Tod.

Endlich kam Rettung.

Sie wurden von einem Hund gerettet.

Dieser nahm sie in die Schnauze.

Doch da verschluckte er sie fast.

In letzter Sekunde haben ihn die Menschen hergeholt.

Er gehorchte zum Glück gut und leiss die Augen aus dem Mund.

Da waren sie aber froh, wieder zum Kind zu gehören.

Die Geschwindigkeit dieser Methode ist für Wipfli manchmal zu träge. Ihre Gedanken sind meist schneller als das Tempo, in dem sie sich ausdrücken kann.

Diese Art des gestützten Schreibens sei auch umstritten, erklärt Vreny Flückiger: «Durch die Nähe beim Stützen kann es sein, dass ich Jasmin neurobiologisch Feedback gebe.» Deshalb übt die 26-Jährige an einer computergestützten Kommunikation.

Die Augen auf Abenteuerreise

Ihre eigene Behinderung motiviert die junge Frau zu den Texten. In einer von Wipflis Geschichten werden die eigenen Augen zur Metapher.

Sie brechen aus dem Körper aus, gehen auf Abenteuerreise und kehren schlussendlich zurück. «Meine Augen sind ein wichtiges Instrument zum Fühlen und Spüren», erklärt sie.

Eine weitere Inspirationsquelle sind andere Geschichten. «Ronja, die Räubertochter» von Astrid Lindgren gehört zu ihren Lieblingserzählungen: «Mir gefällt, dass Ronja so wild und ungestüm ist.»

Beklemmend und humorvoll

Im Heilpädagogischen Zentrum in Schüpfheim motiviert man seit 2012 die Bewohnerinnen und Bewohner im Atelier zum Schreiben. Seit dann nehmen Personen aus Schüpfheim auch regelmässig und erfolgreich am deutschsprachigen Literaturwettbewerb «Die Wortfinder» teil.

Wortfinder: Der Wettbewerb

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Der Verein Die Wortfinder veranstaltet jährlich einen deutschsprachigen Literaturwettbewerb für Menschen mit geistiger Behinderung. Die Einsendungen in Dialekt oder Hochdeutsch werden von einer Fachjury beurteilt. Die prämierten Texte werden dann im Folgejahr in einem Kalender publiziert.

Mit diesem Wettbewerb möchte der Verein das Kreative Schreiben und die Literatur von Menschen mit geistigen und psychischen Beeinträchtigungen fördern.

Dieser richtet sich an Menschen mit einer geistigen oder psychischen Beeinträchtigung. Jasmin hat dieses Jahr auch teilgenommen. Mit ihren Texten ermöglicht sie den Lesenden eine humorvolle, aber auch beklemmende Innenperspektive auf ihre Behinderung.

Inhalt vor Form

«Die Menschen sind überrascht, was ich alles weiss und zu erzählen habe», sagt sie. Sie ist sich sicher, dass viele sie unterschätzen.

Hat Jasmin einen Text einmal zu Papier gebracht, lässt sie ihn stehen, wie er ist. Der Inhalt steht für sie vor der Form. Ihr ist wichtig, dass sie von sich erzählen kann.

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