Nun ist entschieden: Aus insgesamt 85 Titeln hat die Jury des Schweizer Buchpreises folgende fünf Werke auf die Shortlist gesetzt. Nominiert sind:
- « Die Überwindung der Schwerkraft » von Heinz Helle
- « Hier ist noch alles möglich » von Gianna Molinari
- « Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt » von Peter Stamm
- « Das Eidechsenkind » von Vincenzo Todisco
- « Die Hochhausspringerin » von Julia von Lucadou
Manfred Papst, Sprecher der diesjährigen Jury, betont: Die Wahl sei selten so schwer gewesen wie dieses Jahr: «Wir hatten mit einem solchen Reichtum zu kämpfen. Uns haben bemerkenswerte Titel aus den verschiedensten Generationen, Genres und Verlagen erreicht.»
Weiter schreibt die Jury in der Mitteilung: Sie habe sich «für fünf mutige, originelle und innovative Texte entschieden». Ein Etikett, das zur diesjährigen Shortlist passt, meint auch SRF-Literatur-Redaktorin Luzia Stettler.
SRF: Wie mutig sind die nominierten Bücher?
Luzia Stettler: Mutig und originell sind zweifellos die Texte der beiden Debütantinnen, Gianna Molinari und Julia von Lucadou. Sie sind mutig, aber auch verstörend, weil sie konsequent eine beängstigende Zukunftsvision zeichnen, in der Menschlichkeit und Solidarität nur noch wenig zählen.
Molinari lotet das Thema Grenzen aus, Lucadou zeigt, wie wir uns mit der Digitalisierung selber das Grab schaufeln. Es sind Texte, die von uns Leserinnen und Lesern einiges abverlangen.
Das Literaturinstitut Biel scheint wirklich eine Talentschmiede zu sein.
Trotzdem überrascht mich ihre Nominierung nicht, denn Gianna Molinari stand mit «Hier ist alles noch möglich» bereits auf der Longlist für den «Deutschen Buchpreis» und ist zweifellos das meistdiskutierte Schweizer Debüt in diesem Herbst.
Auch Julia von Lucadou erhielt für «Die Hochhausspringerin» ein breites Echo im Feuilleton. Sie ist Deutsche, pendelt zwischen Köln und der Westschweiz und hat – wie auch Gianna Molinari – das Literaturinstitut in Biel absolviert.
Das Literaturinstitut Biel ist also einmal mehr prominent vertreten auf dieser Shortlist …
Ja, so prominent wie noch nie: mit dem Wahlschweizer Heinz Helle nämlich sogar mit drei Absolventen. Biel scheint wirklich eine Talentschmiede zu sein: Heinz Helle war bereits vor vier Jahren nominiert.
«Die Überwindung der Schwerkraft» ist bereits sein dritter Roman und erzählt die Geschichte von zwei Halbbrüdern. Einer von beiden ist Alkoholiker und verzweifelt an der Welt. Ein anspruchsvoller Stoff, auch sprachlich. Alleine diese besondere Sprache rechtfertigt schon die Nomination.
Ein eher unbekannter Name auf der Liste ist Vincenzo Todisco. Wer ist das?
Vincenzo Todisco, Sohn italienischer Einwanderer, lebt heute im Bündnerland. Er ist ein erfahrener Autor und hat schon mehrere Bücher geschrieben – allerdings immer auf Italienisch.
«Das Eidechsenkind» ist sein erster Roman auf Deutsch. Er erzählt von den versteckten Kindern der Gastarbeiter, die in den 70er-Jahren offiziell nicht einreisen durften. Todisco hat diese Situation nicht selbst erlebt, aber er dokumentiert dieses traurige Kapitel in der jüngeren Schweizer Geschichte sehr eindringlich.
Der Fünfte im Bunde ist Peter Stamm – schon fast ein Stammgast auf den Shortlists des Schweizer Buchpreises …
Ja, zweifellos: Es ist bereits seine dritte Nomination – niemand sonst hat das bisher geschafft. Sein Roman «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» wurde völlig zu Recht ausgewählt.
Peter Stamm gehörte schon 2008 und 2011 zu den Favoriten – und gewann dann doch nicht. Das ist bitter.
Ich frage mich, ob es sich die Jury leisten kann, Peter Stamm allenfalls ein drittes Mal leer ausgehen zu lassen. Denn schon bei den letzten beiden Nominationen 2008 und 2011 gehörte er zu den Favoriten – und gewann dann doch nicht. Das ist bitter.
Bitter ist es auch, wenn man als Favorit nicht einmal nominiert wird – gibt es prominente Abwesende?
Die grösste Überraschung ist für mich, dass Thomas Hürlimann auf der Shortlist fehlt. Ich war überzeugt, dass sein Roman «Heimkehr» heute auf der Liste stehen würde. Das Buch ist zweifellos das Schweizer Literaturereignis in diesem Herbst und wurde auch mehrheitlich sehr positiv besprochen. Mich persönlich dünkt, er hätte damit durchaus eine Nomination verdient.
Diese Shortlist beweist, dass die Jury eigenständig entscheidet – unbeirrt von Medienecho oder Prominenz.
Hürlimann ist übrigens nicht der einzige Doyen, der fehlt: Auch Adolf Muschg hat es mit seinem Japan-Roman über die Folgen von Fukushima nicht auf die Shortlist geschafft.
Aber wir dürfen nicht vergessen: Es geht beim Schweizer Buchpreis, wie der Titel sagt, immer nur um das aktuelle Buch – und nicht etwa um ein Lebenswerk. So gesehen beweist diese Shortlist, dass die Jury eigenständig entscheidet – unbeirrt von Medienecho oder Prominenz. Und das ist auch gut so.
Das Gespräch führte Beatrice Kern.