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Literatur Walisische Landschaft als Bühne für Gut und Böse

Der Roman «Graben» von Cynan Jones ist eine ergreifende Parabel über eines der ältesten Themen der Menschheit: Er schildert in einer kraftvollen Sprache den Zusammenprall von Gut und Böse – und reisst die Leserinnen und Leser mit.

Er ist vorbestraft, kennt keinerlei Mitgefühl – weder für Mensch noch Tier – und lebt auf einem heruntergekommenen Bauernhof in Wales. Dies ist eine der beiden Hauptfiguren im packenden Roman «Graben» des Walisers Cynan Jones. Den Namen der Figur erfährt man nicht. Er wird lediglich als der «grosse Mann» bezeichnet. Er ist die Verkörperung des Bösen schlechthin.

«Wohin der Mann auch kam, er sorgte für ein Gefühl von Schädlichkeit», heisst es auf einer der ersten Seiten des Romans. Sein Geld verdient sich der «grosse Mann» mit dem Fang von frei lebenden Dachsen. Die Dachsjagd in den walisischen Wäldern ist zwar verboten, aber dies schert den Ruchlosen nicht: Er wirft die lebendigen Dachse in grausamen Tierkämpfen abgerichteten Terriern vor – eine bestialische Tierquälerei, mit der sich jedoch viel Geld verdienen lässt.

Die Gegenfigur

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Ausschnitt aus «Graben» von Cynan Jones
00:27 min
abspielen. Laufzeit 27 Sekunden.

Die Gegenfigur zum «grossen Mann» ist Daniel, der auf einem der Bauernhöfe Schafe züchtet: Im Gegensatz zum «grossen Mann» gilt sein ganzes Augenmerk dem Wohlergehen der ihm anvertrauten Kreatur. Berührend ist etwa jene Stelle im Buch, in der der Erzähler über mehrere Seiten schildert, wie Daniel einem Muttertier bei der Geburt beisteht und sich dabei bis zur Erschöpfung verausgabt. «Er hatte diese ungeheure Verantwortung für die Farm, und deswegen würde er weitermachen.»

Der Roman pendelt zwischen den beiden Figuren hin und her. Sie haben zunächst nichts miteinander zu tun. In einer reduzierten, jedoch gestochen scharfen und den wortkargen Charaktere angepassten Sprache schildert Jones, dass beide Figuren Verfolgte sind – allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen: Dem «grossen Mann» ist der verbotenen Dachsjagd wegen die Polizei auf der Spur. Und Daniel wird von der Erinnerung an seine kürzlich bei einem tragischen Unfall verstorbene Frau verfolgt: «Er schaute dorthin, wo sie schlief. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne das zu leben.»

Bestialische Tierquälerei

Ein literarisches Meisterstück gelingt Jones mit der Schilderung einer Dachsjagd, wie sie der «grosse Mann» betreibt. In verstörender Detailtreue schildert der Roman, wie abgerichtete Terrier in die Höhle eindringen und den verängstigten Dachs über Stunden drangsalieren und quälen. Wie der Dachs irgendwann aufgibt und ans Tageslicht flüchtet. Wie ihn der «grosse Mann» dann brutal mit einer Metallzange ergreift und in einen Sack steckt. Wie dem Dachs später die Krallen gezogen und die Zähne zerschlagen werden, bevor man im Tierkampf die Hunde auf ihn hetzt.

Parabel über den Wettstreit von Gut und Böse

Buchhinweis

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Cynan Jones: «Graben». Liebeskind, 2015.

Der 1975 in Wales geborene Cynan Jones hat bisher vier Romane geschrieben. «Graben» ist der erste, der nun auch auf Deutsch vorliegt und die Leserinnen und Leser bannt. Das Buch mündet in ein fulminantes Finale.

«Graben» ist eine subtile und erschütternde Parabel über den Wettstreit von Gut und Böse, von Grausamkeit und Mitgefühl, von Bestialität und Humanität. Zum Schluss siegt das Recht. Immerhin. Alles Andere wäre schwer erträglich.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 13.2.2015, 17:20 Uhr

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