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50 Jahre Frauenstimmrecht Wenn der Feminismus Ton und Takt angibt

Eingängige Hymne, abstrakte Töne: Feministische Musik zieht sich in der Schweiz durch alle Szenen und Generationen. Wo steht sie heute?

«Meine funky cool Vagina ist systemrelevant» rappt Big Zis auf ihrem Album «4xLove:2» (2020) und liefert damit neben einer Portion Sexualaufklärung auch einen griffigen Slogan für Feminismus in Krisenzeiten.

Big Zis, seit 20 Jahren auf der Bühne, geniesst die Provokation: «Es ist immer noch nicht selbstverständlich, Wörter wie Vulva und Vagina auszusprechen. Aber ich gebe zu, ich habe etwas dick aufgetragen in diesem Lied.»

«Ich will mehr!»

Ähnlich hymnenhaft ist La Neferas « Quiero Más » («Ich will mehr!») aus dem Jahr 2019. Im Lied inszeniert die Basler Rapperin eine fiktive Lohnverhandlung mit einem vorgestrigen Chef – und bringt so Themen wie das Gender Pay Gap und Sexismus an ihr Publikum.

La Nefera hat angefangen feministisch zu denken, als sie 2010 beim Projekt 1 City 1 Song teilnahm. Von 147 Rappern waren nur sechs Frauen dabei. Damals stand erstmal das Netzwerken unter Rapperinnen im Vordergrund.

«Heute heisst Feminismus für mich, für Ungleichheiten aller Art einzutreten und auch andere Formen der Diskriminierung wie zum Beispiel Rassismus im Blick zu haben. In meiner Musik reflektiere ich darüber.»

Die Zeit der klaren Statements

Es scheint, als wäre in der Schweizer Musik eine neue feministische Dringlichkeit am Start. Woher kommt das?

Big Zis findet, der Zeitgeist verlange klare Botschaften. Die sozialen Medien hätten uns beigebracht, die eigene Meinung auf den Punkt zu bringen: «Ich hab mich immer als Feministin gefühlt, aber ich hab es nie so offen nach aussen getragen».

Vielleicht schlägt sich aber auch der Frauenstreik 2019 in der Musik nieder. Er hat der Schweizer Frauenbewegung einen Schub gegeben.

Es sind nicht nur Songtexte, die Musik feministisch machen – es ist auch die Performance. Mit ihrer One-Woman Band Jack Torera hat die Musikerin Jacki Brutsche eine Kunstfigur geschaffen, die sowohl Mann als auch Frau sein kann.

Festgefahrene Genderrollen werden von ihrem Sixties-inspirierten Garage Rock‘n‘Roll und ihren anarchischen Performances umgepustet.

Zuhören als queerfeministische Praxis

Die Soundkünstlerin, DJ und Veranstalterin Anna Frei, Mitbegründerin des Zürcher Plattenladens One’s Own Room (OOR), fasst feministische Musik noch weiter.

Sie sucht nach erweiterten Formen von Kollaboration und Wahrnehmung: Wer wird gehört und wer nicht? Wie können wir über Sound kommunizieren? Wie können wir das Zuhören, welches historisch feminisiert wird, als eine aktive Praxis gestalten? Und wie politisch kann musikalische Improvisation sein?

Eine Inspirationsquelle für diese Fragen findet sie in der Feminist Improvising Group , in der Ende der 1970er-Jahre auch die Schweizer Pianistin Irène Schweizer Mitglied war.

Ihr Ansatz damals: Nicht die Leistung steht im Vordergrund. Das Ziel ist in einem furchtlosen Raum eine Gemeinschaft zu kreieren.

Viele blinde Flecken

Etwa zeitgleich hat die Postpunk-Band Kleenex für Furore gesorgt. Sie hat viele Frauen ermutigt einfach zum Instrument zu greifen, auf die Bühne zu steigen und loszuspielen.

Irène Schweizer und Kleenex sind Pionierinnen der feministischen Musik und bis heute wichtige Referenzpunkte. Doch so lebendig und vielfältig die gegenwärtige Szene ist, umso mehr überrascht es, wie schlecht recherchiert und dokumentiert die feministische Musikgeschichte der Schweiz ist.

Vielleicht ist das Jubiläum «50 Jahre Frauenstimmrecht» ein Anlass, daran etwas zu ändern.

Feministische Musik aus der Schweiz (Spotify)

Radio SRF 2, Kontext, 01.02.2021, 17:58 Uhr

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