SRF: Identität und Heimat sind die zentralen Themen Ihres aktuellen Albums «Manara». Was bedeutet Heimat für Sie?
Alsarah: Kennen Sie die das Bonmot «Heimat ist da, wo das Herz ist»? Nun, mein Herz ist an vielen Orten. Ich weiss nicht, was Heimat ist. Vielleicht ist Heimat da, wo man sich sicher fühlt.
Was bedeutet für Sie Identität?
Weil ich so oft umgezogen bin, identifiziere ich mich sehr stark als Immigrantin. Und das mit einem intensiven Gefühl von Stolz. Wir leben heute zwischen den Welten und wir Immigranten sind die Brücke – ein Fuss hier, ein Fuss dort. In den nächsten 25 Jahren ist das die Geschichte der meisten Menschen, es wird die Norm. Ich hoffe, wir können uns in den Diskussionen um Grenzen entspannen. Denn: Grenzen haben versagt.
Ihnen gefällt also die Identität als Immigrantin?
Für mich ist es grossartig! Wir Immigranten sind die Wildcard der Natur. Wir sind globale Kinder. Wir sind anders als unsere Eltern. Aber wir verstehen, woher sie kommen. Und wir verstehen, wo wir gelandet sind. Das ist eine machtvolle Sache. Man kann so besser überleben. Die Natur gibt deshalb Acht, dass wir nicht aussterben.
Sie leben nun seit 1994 in den USA. Was sehen Sie, wenn Sie von aussen auf den Sudan, wo Sie geboren sind, schauen?
Meine Beziehung zum Sudan ist sehr kompliziert. Wenn ich auf den Sudan blicke, sehe ich meine Heimat, aber auch fremde Menschen. Ich sehe einen Ort, wo ich hingehöre, aber gleichzeitig auch einen Ort, wo ich niemals leben könnte.
Warum?
Der Sudan leidet seit 30 Jahren unter einem Polizeiregime. Dieses engt die Leute ein. Für mich wirken dort viele Menschen wie Gefangene. Trotzdem kann ich nicht zu lange ausserhalb des Sudans, aber auch nicht zu lange im Sudan sein.
In den USA haben Sie Musikethnologie studiert. Was bringt ihnen das für Ihre Musik?
Ich habe gelernt, dass jede Musik eine Tradition hat. Die Grundlage jeder Tradition ist Fusion. Und die Grundlage von Fusion ist Tradition. Ein wunderbarer Kreis. Das nehme ich mit. Nichts existiert in einem Vakuum.
Auch Ihre Musik ist eine Fusion, eine Mischung zwischen Pop und der sudanesischen Musik der 1960er und 70er-Jahre. Sie nennen ihren Stil «East African Retro Pop». Warum?
Weil wir eine ostafrikanische Bewegung brauchen. Die Labels veröffentlichen nur westafrikanische Musik. Ostafrika taucht nur im Zusammenhang mit dem Ethiojazz auf. Aber in der unabhängigen Musikszene passiert noch viel mehr. Ich liebe die Musik von Sansibar und Kenia. Ich wollte einen Sound erschaffen, der die ostafrikanische Musik verbindet
Ihr aktuelles Album ist in Asilah, an der Küste Marokkos, entstanden. Warum gerade da?
Ich suchte einen Ort am Meer, einen Ort voller Frische. Asilah ist kein fröhlicher, aber ein wunderschöner Ort. Und ich kann die Bedeutung des Meers für die menschliche Psyche, den Geist, die Seele nicht genug betonen. Das Meer ist der ultimative Heiler. Es heilt von allem.
Sie nennen Ihr aktuelles Album «Manara», Leuchtturm. Weil er auf dem Meer Orientierung gibt?
Ja. Ich sehe das Leben als Meer. Man reist mit dem Schiff, geht durch einen Sturm, durchlebt all den Wahnsinn. Man fokussiert sich dabei aber immer auf einen Leuchtturm. Nach der Reise ist der Leuchtturm das ultimative Zuhause, das man erreichen will. Auch wenn man jetzt noch nicht weiss, wo er ist.
Das Gespräch führte Mariel Kreis.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Jazz & World aktuell, 07.04.2017, 21:00 Uhr