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Musik Bei Daniel Kahn trifft Klezmer auf Punkrock und Bertolt Brecht

Revolution! Wer sich ihr heute als Künstler verschreibt, gilt schnell als altmodisch. Der US-amerikanische Musiker Daniel Kahn sieht das ganz anders. Er liebt, lebt und besingt die Revolution.

Er ist nicht zu übersehen: Karl Marx. Der Vater des Kommunismus ist omnipräsent in Daniel Kahns Wohnung: Als Konterfei auf Kaffeetassen und Postern. Im Büchergestell das Kommunistische Manifest. Sogar in der Adresse: Daniel Kahn wohnt an der Karl-Marx-Strasse im Berliner Bezirk Neukölln.

Der US-Amerikaner mit jüdischen Wurzeln ist Dichter, Theatermacher, aber vor allem Musiker. Und seine Songs handeln oft von der Marxschen Philosophie. Daniel Kahn prangert den Kapitalismus an, soziale Ungerechtigkeit, aber auch den Rassismus. Das entgeht einem nicht, die bissige Ironie muss man jedoch miteinberechnen.

Klezmer à la Brecht

Daniel Kahn nennt seine Musik «Verfremdungsklezmer». In Anlehnung an Brechts Verfremdungseffekt – ein Stilmittel im Epischen Theater, welches das Publikum mit eingeschobenen Kommentaren oder Liedern davon bewahrt, sich mit den Protagonisten zu identifizieren.

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«March of the jobless Corps» (Ausschnitt)
01:19 min
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Übertragen auf Daniel Kahns «Verfremdungsklezmer» bedeutet das: Er will vertraute Dinge in einem neuen Licht zeigen und den Zuhörer dazu bewegen, seine Einstellung zu hinterfragen.

Dafür erfindet er etwa das jüdische Volkslied neu und bringt es ins Heute. Bestes Beispiel dafür ist der «Arbetlozer Marsh» (Arbeitsloser-Marsch) des jiddischen Dichters und Komponisten Mordechai Gebirti. Kahn pimpt das Lied auf – musikalisch und textlich: Aus dem Reichen wird ein CEO, aus dem Arbetsloze der amerikanische Jugendliche im Arbeitslosen-Corps. (Musikbeispiel).

Klezmer ist nicht die einzige Zutat

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Daniel Kahn über seine Klezmer-Revolution
00:30 min
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Nicht nur die Texte sind getränkt im Revolutionsgedanken, auch seine Musik: «Wenn Revolution bedeutet, ‹Macht den Schwachen geben› und wenn Klezmer für eine ignorierte Kultur steht, – ja, dann mache ich Klezmer-Revolution», sagt Daniel Kahn.

Klezmer ist eine wichtige Zutat in seinen Songs, aber bei weitem nicht die einzige. Er versetzt die jiddische Volksmusik mit Punkrock, mit amerikanischer Folk Music, Singer/Songwriter. Mal singt er auf jiddisch, mal auf deutsch, englisch oder alles zusammen.

Jiddisch und Klezmer kennt Daniel Kahn aber nicht aus seiner Kinderstube. Jiddisch hat er als Fremdsprache gelernt, die jiddische Volksmusik in New Orleans kennengelernt. Seine musikalischen Wurzeln liegen in der amerikanischen Musik, bei Sängern wie Bob Dylan, Tom Waits oder Leonard Cohen.

Kein verklärter Blick auf die Vergangenheit

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Daniel Kahn: «Ich mag keine Nostalgie.»
00:53 min
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Der avantgardistische Traditionalist ist ein begnadeter Adapteur. Aber er covert nicht nur Songs von Leonard Cohen, Robert Schumann oder Bertolt Brecht. Er komponiert auch selber. Und dabei hat er die Vergangenheit stets im Hinterkopf. In «Good Old Bad Old Days» besingt Kahn die Ostalgie oder besser gesagt: er wettert versteckt gegen die Nostalgie. Denn von der Verklärung der Vergangenheit hält er gar nichts.

Und damit sind wir wieder bei Karl Marx, jedenfalls bei der Kaffee-Tasse in seiner Küche, darauf abgebildet neben dem Marx-Antlitz: Die verklärte DDR in Bild und Text. «Mehr Zeit für die Liebe» oder «Die Renten waren sicher» und «FKK – kein Problem». Kahn hatte genau das vor Augen, als er den Song «Good Old Bad Old Days» komponierte.

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