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Chansons-Legende würde 95 Juliette Gréco scherte sich nie um Konventionen

Die Gréco war eine der grossen Interpretinnen des französischen Chansons. Und weit mehr: eine Symbolfigur der starken Frau. Erinnerungen an eine grosse Persönlichkeit der französischen Kulturszene.

Sie war bereits die «grande dame de la chanson», er war noch der junge, aufstrebende Chansonnier, der auf gute Kontakte angewiesen war. Sie ist die stets in Schwarz gekleidete, grossartig aussehende Frau mit mysteriöser Aura, einer mühelosen erotischen Ausstrahlung, er dagegen ist – mit seinen abstehenden Ohren und der zu gross scheinenden Nase –, so will es ihm scheinen, abgrundtief hässlich.

Juliette Gréco öffnet eine Flasche Champagner, dann eine zweite, beginnt zu tanzen, für ihn, den unsicheren Serge Gainsbourg, bis es ihm zu viel wird und er ob der vielen Erotik flüchtet.

Zu viel für Gainsbourg

Folgenden Tags ruft er an, um sich zu entschuldigen. Sie nimmt die Entschuldigung an, mit einer Bedingung: Er müsse ihr sein schönstes Chanson schenken. Bald darauf taucht er bei ihr auf, mit einem Geschenk. Dem neuen Lied «La javanaise», das zu einem der grössten Hits von Juliette Gréco werden sollte.

Schwarzweissbild: Frau und Mann stehen nah beieinander und schauen sich in die Augen
Legende: Juliette Gréco mit Serge Gainsbourg: So viel Erotik konnte selbst der verruchte Chansonnier nicht aushalten. Getty Images / INA

Diese Geschichte erzählt viel über die Gréco, diese wahrhaft grosse Dame des französischen Chansons. Über die vielen berühmten Männer, die alles taten, um in ihrer Nähe sein zu dürfen, über ihre überwältigende Ausstrahlung, über ihre Fähigkeiten, in anderen das grosse Talent zu erkennen, über ihre Rolle im kulturell überbordenden Nachkriegs-Paris.

Künstlertreffpunkt im existenzialistischen Paris

Juliette Gréco stammte aus dem Süden, aus Montpellier, geriet während des Krieges nach Paris und blieb dort nach Ende der Hostilitäten. Die blutjunge Frau eröffnet eine Art Klub, der bald schon zum Treffpunkt für Philosophen und Poetinnen wird – von Jean-Paul Sartre bis Boris Vian und für das gesamte existentialistische Paris.

Gréco wird mit ihren schwarzen Kleidern zur Stil-Ikone, bald schon schlägt sie – auf Anraten des Poeten Jacques Prévert – eine eigene Gesangskarriere ein. Für sie schreiben nur die Besten der Besten: Léo Ferré, Jacques Brel oder eben jener Serge Gainsbourg.

Sie wird zur Interpretin de Luxe, der man immer wieder spielerisches, erotisch aufgeladenes Material auf den Leib schreibt wird, etwa «Deshabillez-moi» von 1967, ein Chanson, in dem Dame darum bitte, entblättert zu werden.

Je suis comme je suis

Als Schauspielerin verkörpert sie dasselbe Image, zudem wird sie die Geliebte der US-amerikanischen Jazz-Legende Miles Davis. In allem, was sie tut, fordert sie die Konventionen, das einfache Denken heraus.

Im Nachhinein nimmt sich jenes frühe Chanson namens «Je suis comme je suis» programmatisch heraus: «Ich bin dafür gemacht zu gefallen, ich kann nichts dagegen tun, meine Lippen sind zu rot, meine Haut zu hell (….) und dann, was geht sie das an?»

Juliette Gréco, die grosse Persönlichkeit der französischen Kulturszene der 1940er- bis 1970er-Jahre, ist am 23. September 2020 verstorben. Am 7. Februar 2022 hätte sie ihre 95. Geburtstag gefeiert.

Sie war eine Muse des Existentialismus, eine grossartige Sängerin, ein starke, selbstbewusste und unabhängige Frau schliesslich, der es reichlich egal war, was die Nachbarn links und rechts von ihr dachten.

Sie war schliesslich die Gréco – und das konnte sonst niemand behaupten.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 24.09.2020.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 24.9.2020, 06:02 Uhr.

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