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Musik Der kritische Dirigent Peter Gülke erhält Siemens-Musikpreis

Er ist schwierig einzuordnen und eckte mit seinem kritischen Geist bei der Stasi an: Peter Gülke. Der deutsche Musikwissenschaftler und Dirigent erhält den diesjährigen Ernst-von-Siemens-Musikpreis. Die renommierte Auszeichnung ist mit 250‘000 Euro dotiert.

Alternierend geht der Ernst-von-Siemens-Musikpreis jeweils entweder an einen Komponisten oder einen Dirigenten, manchmal wird aber auch ein Musikwissenschaftler eingeschoben. So dieses Jahr. Der 1934 in Weimar geborene Peter Gülke ist durch zahlreiche Publikationen bekannt geworden. Er hat umfassende Schriften über den Frührenaissance-Komponisten Guillaume Du Fay, über Jean-Jacques Rousseau, über Schubert und Schumann, Leoš Janáček oder auch zur musikalischen Interpretation vorgelegt.

Leicht ist er jedoch nicht einzuordnen, denn eigentlich ist er Dirigent. Das Studium der Musikwissenschaft hat er einst als 18-Jähriger begonnen, weil er vor dem Dirigieren enormen Respekt hatte. «So war die Musikwissenschaft ein feiger Umweg.»

Tippeltappeltour durch Ostdeutschland

Der Dirigent umbegen von Musikerinnen und Musikern an einer Probe.
Legende: Schwierigen Verhältnissen zum Trotz, wurde Gülke Dirigent. Manu Theobald und Steffi Loos/©Ernst von Siemens Musikstiftung

Dirigent ist Peter Gülke dann allerdings doch geworden, den schwierigen Verhältnissen in der DDR zum Trotz. 1959 begann er in Rudolstadt als Mädchen für alles, bald machte er die Tippeltappeltour durch die ostdeutschen Theater und wurde mancherorts Generalmusikdirektor. Durch seine kritische Meinung eckte er an und wurde von der Stasi unter Druck gesetzt.

So erzählt er: «1980 leitete ich in Dresden auch das Hochschulorchester. Es war bei einer Orchesterprobe: Die Studenten sollten alle am Tag nach der Ausrufung des Kriegszustands in Polen in einer Resolution unterschreiben, dass sie damit einverstanden sind. Ich war damals für viele ein Anlaufpunkt, die aus politischen Gründen in Bedrängnis gekommen sind. Die haben mich nur gross angeguckt, und da habe ich nach einigem Schweigen gesagt: Wisst ihr, ich würde nicht unterschreiben. Aber ich respektiere, wenn ihr euch anders entscheidet, weil eine unleserliche Unterschrift unter einer Resolution, die viele erzwungene Unterschriften hat, vielleicht doch weniger wiegt, als wenn ihr exmatrikuliert werdet. Das möge jeder von euch entscheiden, wie er will, meine Zustimmung hat er.»

Das war kurz bevor er in Weimar Generalmusikdirektor wurde. Normalerweise war dieses Amt mit der Leitung der Dirigentenklasse an der Hochschule verbunden. Doch Gülke erhielt sofort Hochschulverbot. «Was ich in Dresden gesagt hatte, war natürlich eine Minute später bei der Stasi, und von da an stand ich unter Beobachtung.»

Meisterwerke traten zutage

Ernst-von-Siemens-Musikpreis

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Der renommierte Preis wird seit 1974 jährlich bedeutenden Personen des Musiklebens verliehen und ist mit 250‘000 Euro dotiert. Die Preisverleihung an Peter Gülke findet am 24. Mai in München statt.

1983 verliess er die DDR, als sich eine Gelegenheit zum Abspringen bot. Er habilitierte sich in Musikwissenschaft und wirkte zehn Jahre als musikalischer Chef in Wuppertal. In diesen Jahren machte er einige wichtige Wiederentdeckungen. Es gelang ihm zum Beispiel, Sinfoniefragmente von Schubert auszugraben oder die Orchesterfantasie «Die Seejungfrau» von Alexander Zemlinsky in ihrer ursprünglichen Form wiederherzustellen. Meisterwerke traten so zutage.

Neben dem Dirigieren fand er immer wieder Zeit, über Musik nachzudenken. Das tat er mit aller Behutsamkeit, denn er weiss, wie fragil der Gegenstand ist. «Je näher wir an musikalische Phänomene herankommen, desto weniger haben wir es mit nachweisbaren Dingen zu tun, desto mehr treiben wir Vermutungswissenschaft.» Daraus spricht wieder der Musiker, der den Worten nicht ganz traut. Gerade das macht die Qualität seiner Texte aus. Sie wägen das Detail klug ab, verallgemeinern nicht schnell und versuchen die Zusammenhänge zu klären.

Theorie muss «in den Bauch absinken»

Wäre er manchmal froh, fragte ich ihn, wenn er als Dirigent nicht wüsste, was er als Musikwissenschaftler weiss? «Die ganze Wissenschaft, die ganze Theoretisiererei dient vor allem dazu, dass ich die Musik noch schöner finde als sonst sowieso schon. Der theoretische Hintergrund spielt beim Musizieren am Ende eine untergeordnete Rolle. Das muss – wie Kleist formulierte – zur ‹zweiten Naivität› geworden sein, muss ‹in den Bauch› abgesunken sein. Es ist ein Sediment, aus dem ich, wenn es darauf ankommt, bestimmte Kenntnisse abrufen kann, das sich aber bitteschön nicht aufdrängt. Dafür ist das Quantum der rein praktischen Probleme beim Interpretieren viel zu gross.»

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