Wenn Jason Beck eine Bühne betritt, tut er das in der Haut von Chilly Gonzales. Als Bühne sieht der 48-Jährige dabei jede Szenerie, die ihm einen Auftritt ermöglicht. Wo ein Auftritt stattfindet, ist für ihn keine Frage des Ortes. Sondern eine Frage der Umstände.
Aufgewachsen als jüngerer Bruder des erfolgreichen Filmkomponisten Christophe Beck, lernt Jason früh, Schlagzeug zu spielen. Dann entdeckt er das Klavier. Nach dem Musikstudium taucht er in den Untergrund der Popmusik ein. Er zieht nach Paris. Nach Berlin. Aus Jason Beck wird Chilly Gonzales.
Er kennt keine Grenzen
Gonzales etabliert sich als Künstler und Figur. Er schlägt Brücken zwischen Genres und Szenen. Er schreibt Musik für einen Apple-Werbespot. Er erhält einen Grammy für die Zusammenarbeit mit dem französischen Electro-Duo Daft Punk. Er stellt einen Weltrekord im Dauerklavierspielen auf.
Und immer wieder ist da diese Figur. Der Entertainer und Pianist im obligaten Bademantel und Pantoffeln. Chilly Gonzales, der von sich behauptet, er sei ein musikalisches Genie. Gonzales, der bei seinen Auftritten schwitzt wie ein Tier, flucht wie ein Rohrspatz und provoziert, wie ein bissiger Stand-up-Comedian. Dabei führt er aber kein Programm auf. Er selbst ist das Programm.
Die Kunstfigur ist echt
Bei Gonzales ist die Illusion Realität. Und die Realität Illusion. Die Frage, ob das, was sich vor dem Vorhang abspielt, etwas zu tun hat mit dem, was sich hinter der Bühne zuträgt, ist nicht zentral. Bei Chilly Gonzales ist es immer unklar, wo sich diese Grenze befindet. Ja, ob sie überhaupt existiert.
Auch der Dokumentarfilm «Shut Up And Play The Piano» schafft es nicht, dem Menschen hinter der Kunstfigur wirklich näherzukommen. Allerdings bleibt unklar, ob der deutsche Filmemacher Philipp Jedicke das überhaupt will.
Umso mehr lebt der Film dafür vom höchst talentierten und überaus sympathischen Ekelpaket Chilly Gonzales. Vielleicht ist die Figur Chilly Gonzales der Person Jason Beck viel näher, als man es für möglich halten würde. Jedenfalls scheint Beck zu wissen, was er am besten kann.
Laute Töne, leise Töne
Chilly Gonzales braucht Musik, um sich auszudrücken. Existenzieller angewiesen ist jedoch seine Musik auf ihren Schöpfer und Interpreten.
Die Musik lebt und strahlt erst richtig durch die Performance von Gonzales. So, wie das Popmusik nun mal tut. Ganz egal, ob sich Gonzales dabei gerade durch Jazz, Funk, Punk, Electro, Klassik oder Rap ausdrückt.
Anfangs brauchten Chilly Gonzales’ Schöpfungen einen gut ausgerüsteten Marktschreier, um auf sich aufmerksam zu machen. Später nutzte Beck die erlangte Aufmerksamkeit, um leisere Töne anzuschlagen.
88 Tasten, ein Phänomen
Dass Gonzales auch die Klappe halten und Klavier spielen kann, ist nicht nur die Kernaussage von «Shut Up And Play The Piano». Es ist die unmissverständliche Message dieses Portraits.
Man darf sich natürlich fragen, ob sich Chilly Gonzalez bei diesem Projekt unbemerkt in die Regiearbeit eingemischt hat. Es würde zu ihm passen. Denn Jason Beck kennt nicht bloss die 88 Tasten eines Klaviers. Er spielt äusserst virtuos auf der Klaviatur der Medien.
Dieses Spiel im Film «Shut Up And Play The Piano» zu beobachten, macht ebenso viel Freude, wie über die Karriere, die Entwicklung, die Radikalität und den Einfallsreichtum von Chilly Gonzales zu staunen.