Der Song «Savage» der Rapperin Megan Thee Stallion war erst auf TikTok erfolgreich. Zum richtig grossen Hit wurde er aber erst dank Beyoncé: Die gemeinsame Version des Songs erschien im vergangenen April und schaffte es bis an die Spitze der Billboard Hot 100, der wichtigsten Album- und Singlecharts der USA.
Auch die darauffolgenden Nummer-1-Hits waren allesamt musikalische Kooperationen, häufig von Frauen: «Say So» von Doja Cat und Nicki Minaj zum Beispiel. Minaj feierte mit dem Rapper 6ix9ine und «Trollz» wenig später einen zweiten Charterfolg. Und auch Justin Bieber («Stuck with U») und Lady Gaga («Rain On Me») stürmen 2020 die Billboard Hot 100 – beide mit Ariana Grande als Duett-Partnerin.
Vom 16. Mai bis zum 8. August waren alle Songs, die die Spitze der Billboard Hot 100 erreichten, Zusammenarbeiten mit Gastsängerinnen oder -sängern – sogenannte «Featurings».
Wie einst Elton John und David Bowie
Wirklich revolutionär ist das nicht: «Featurings» gehören im R&B und Hip-Hop seit den Anfängen in den 1980ern dazu.
Auch in der Popmusik gibt es das seit Jahrzehnten: 1976 erscheint zum Beispiel «Don’t Go Breaking My Heart» von Elton John mit Kiki Dee als Gast. 1981 spannen Queen und David Bowie für «Under Pressure» zusammen.
1985 singen insgesamt 45 Musikerinnen und Musiker, darunter Tina Turner und Bob Dylan, «We are the World» ein – der Song stammt aus der Feder von Michael Jackson und Lionel Richie. Bis heute ist er eine der erfolgreichsten Singles.
Neu ist 2020 die Menge an musikalischen Kooperationen. In den 1970er- und 1980er-Jahren waren gemeinsame Songs eher die Ausnahme und die Mitarbeit der entsprechenden Gastsängerinnen und -sänger wurde häufig gar nicht im Titel vermerkt. Heute gibt es dagegen kaum noch einen Songtitel ohne diesen Zusatz.
Reichweite vervielfachen
Gemeinsame Songs sind nämlich ein Erfolgsrezept, denn sie erreichen gleich mehrere Fangemeinden. In einer Zeit, in der die Popmusik von Streaming-Zahlen und Algorithmen beherrscht wird, lässt sich das klar beziffern. Cardi B und Megan Thee Stallion zum Beispiel haben beide über 30 Millionen monatliche Hörerinnen und Hörer auf Spotify. Mit einem gemeinsamen Song können sie ihre Reichweite verdoppeln – das ist einfache Mathematik.
Gemeinsam Grenzen überwinden
Vielleicht bahnt sich hier eine Verschiebung in der Popmusik an: «An der Spitze mit- statt gegeneinander» könnte das neue Credo lauten. Gemeinsam werden Grenzen überwunden, weil zwei verschiedene Musikerinnen und Musiker auch unterschiedliche Genre-Formate, kulturelle Hintergründe und Generationen ansprechen können.
So katapultiert etwa der Tropical-House-DJ Kygo den 80er-Hit «What's Love Got To Do With It?» von Tina Turner ins Jahr 2020 und lässt ihn für ein neues, junges Publikum noch mal aufleben.
Gemeinschaftlicher, diverser, femininer
Gleichzeitig zur Verschiebung zu mehr Kooperationen lässt sich in den Charts eine weitere Entwicklung beobachten: Während die Billboard Hot 100 in den letzten Jahren vor allem weiss und männlich geprägt waren, dominieren 2020 für einmal Diversität und Frauenpower.
Von Beyoncé über Megan Thee Stallion, Ariana Grande und Doja Cat bis Cardi B und Nicki Minaj: Nie zuvor gab es innerhalb kurzer Zeit so viele Musikerinnen und davon wiederum viele Afroamerikanerinnen an der Chartspitze – eine erfrischende Tendenz.