Sie waren die Roboter, trugen roten Hemden, schwarze Krawatten. Androgyn geschminkt, besangen sie das unbekannte schöne Modell, die Autobahn, den Trans-Europa-Express.
Karl Bartos war einer von ihnen. Von 1975 bis 1990 war der Schlagzeuger Mitglied der Elektropop-Gruppe «Kraftwerk», die bis heute als stilprägend gilt. Zwischen Avantgarde, Kunst und Jazzmusik bespielte Kraftwerk seit 1970 das popkulturelle Grenzland zwischen Kunst und Pop.
Der Sound war von Hand gemacht
In seiner Autobiografie «Der Klang der Maschine» zieht Karl Bartos Bilanz. Etwas wehmütig erzählt er von den Jahren im Düsseldorfer Kling-Klang-Studio.
Dieses hatten Ralf Hütter und Florian Schneider, die Kraftwerk-Gründer, als Produktionswerkstatt eingerichtet: Hier entstand der Kraftwerk-Sound als Mischung aus handgemachter Musik und ausgeklügeltem Instrumentarium.
Man stand sich im Halbkreis gegenüber, musizierte wie eine Jazzformation im Dunstkreis von «Krautrock» und Avantgarde. Karl Bartos lernte das elektronische Schlagzeug mit stricknadelähnlichen Schlägeln zu spielen, ein Markenzeichen des Kraftwerk-Sounds, das viel Fingerspitzengefühl erforderte.
Ein visuelles Erlebnis
Von Anfang an spielte die visuelle Ebene eine Rolle. Allmählich wurde aus dem experimentellen Projekt «Kraftwerk» eine Bühnen-Performance der besonderen Art.
Ganz im Charme der 1960er-Jahre wurden zunächst noch eigene Plattencover und verschrobene Slogans wie «Unterstützt die Wirtschaft – öfter mal Weihnachten» an die Wand projiziert.
Ganz anders dann das Bild beim legendären «Computerwelt»-Konzert im Berliner Metropol-Theater, das 1981 den Höhepunkt von Kraftwerk markierte. Es war gleichzeitig eine Reminiszenz an den Maschinenkult der 1920er-Jahre und – aus Bartos' Sicht – Ausdruck naiver Technikbegeisterung.
Fritz Langs Filmklassiker «Metropolis» diente als Folie für eine Retrokunst, die euphorisch auf die Technisierung der Gesellschaft blickte. Bereits kurz nach dem Konzert waren die Musiker mit ausdruckslosem Gesicht Kunst- und Kultfiguren.
Spiel mit dem Zeitgeist
Hinter dem Geist der Unnahbarkeit, der sich hinter Computerbildschirmen, Videoprojektionen und Klangmaschinen verbarg, lebte die Lust am Experiment: Mit neuen musikalischen Ideen, Formen und dem ironischen Vexierbild androider, designter Musiker, die sich einfach nicht vermarkten konnten.
Aus ihren in nächtlichen Sessions aufgenommen Bändern montierten sie ihre grossen Hits: « Trans-Europa-Express» , «Autobahn» , «Das Modell» und «Computerwelt» .
Lapidares Ende
Heute ist Kraftwerk ein Multimedia-Projekt, das Ralf Hütter als einziges verbliebenes Gründungsmitglied gestaltet. Erst kürzlich ist eine Edition mit DVD, Blu-Ray, CD erschienen – der ganze Kraftwerk-Katalog als pompöser Re-Mix.
Für Karl Bartos ist das ein kleiner Verrat am Geist der frühen «Kraftwerker», die Anfang der 1980er-Jahre auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs waren und das Spiel mit der «Mensch-Maschine» auf die Bühne brachten.
Nur noch Erinnerung
Am Ende seines Buches legt Karl Bartos die Studioschlüssel aufs Pult, verlässt das berühmte Kling-Klang-Studio und die genial-hermetische Klangtüftler-Sphäre von Ralf Hütter und Florian Schneider.
Es endet also genauso lapidar wie es 1975 begonnen hat, als die Düsseldorfer Künstleratmosphäre den Weg bereitete für eine Gruppe, die später sogar um ein Haar mit Michael Jackson zusammengearbeitet hätte.
Bartos besucht keine Kraftwerk-Konzerte
Kraftwerk ist heute, in Karl Bartos' Lesart, Teil der Elektropop-Geschichte. Eine Erinnerung an eine Zeit, in der die Idee die Musik machte. Und eben nicht das Design, das später auch bei Kraftwerk zur Masche wurde.
Ein Kraftwerk-Konzert würde Karl Bartos heute nicht mehr besuchen, auch wenn er sich immer noch als Teil der Band fühlt. «Karl Bartos klingt nach Kraftwerk und Kraftwerk nach Karl Bartos», resümiert er trotzig.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 6.11.2017, 07:20 Uhr