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Musik «Man stellt Kunst in Frage, wenn es Bomben und Gewehrkugeln gibt»

Krieg, Terror und Tod trieben Hunderte von arabischen Musikern ins Exil. Der syrische Klarinettist Kinan Azmeh aus Damaskus ging zum Studium nach New York. Der Krieg in Syrien machte ihn zum Exilanten. Diese Situation hat seine Beziehung zur Musik nachhaltig verändert.

Der 1976 geborene Klarinettist Kinan Azmeh gehört zu den talentiertesten Musikern, welche die Musikszene in Damaskus hervorgebracht hat. 1997 gewann er den ersten Preis beim internationalen Nicolai-Rubinstein-Wettbewerb in Moskau. Zwei Jahre später setzte er sein klassisches Klarinettenstudium fort an der berühmten Juilliard School in New York.

Die Kunst steht in Frage, wenn es Fassbomben gibt

Doch angesichts des Krieges in Syrien, der Bombardierung ganzer Städte wie Aleppo, wurde seine Heimat mittlerweile endgültig zu gefährlich für ihn. Im April 2011, einen Monat nachdem die arabische Revolution in Syrien begonnen hatte, war Kinan Azmeh zum letzten Mal bei einem Festival orientalischer Musik in Damaskus aufgetreten.

«Es war ein Tag nachdem sie in Dara‘a mehrere Jugendliche erschossen hatten. Ich bat das Publikum, für eine Schweigeminute aufzustehen. Und dann merkte ich: Ich kann nicht spielen. Man stellt die Kunst in Frage, wenn es überall Fassbomben und Gewehrkugeln gibt. Dann schaust du dir deine Klarinette an und denkst, was machst du hier eigentlich?»

Ein Jahr ohne Klarinette

Als Reaktion darauf konnte Kinan Azmeh ein ganzes Jahr lang nicht mehr Musik machen. Sein Bedürfnis nach Musik war verschwunden. «Ich hatte nichts mehr zu sagen», erzählt er im Gespräch.

Es brauchte ein Jahr, bis Kinan wieder spielen und komponieren konnte. Es war wie eine Therapie für ihn. «Ich merkte, dass ich ein Instrument habe, das eine Stimme besitzt. Wenn die ganzen Aufstände deshalb begannen, weil die Menschen eine Stimme haben wollten, um ihre Meinung zu äussern – dann bin ich in der luxuriösen Situation, ein Instrument mit einer Stimme zu haben», sagt der Klarinettist.

Azmeh wurde unfreiwillig zum Exilanten

Kinan wurde zum Exilanten, nachdem er schon längere Zeit in New York gelebt hatte. Aber er nutzte die Zeit mit fruchtbaren Projekten: Noch in Damaskus hatte er 2003 die Gruppe Hewar (arabisch: «Dialog») mit der syrischen Sängerin Dima Orsho und dem Oud-Spieler Issam Rafea gegründet.

Mit amerikanischen Musikern formierte er Kinan Azmeh's City Band, «eine Kombination aus der Freiheit der Improvisation mit dem Groove des Jazz und der Sensibilität der klassischen Musik.» Seit Jahren wirkt er auch in Yo Yo Ma's weltberühmtem Silk Road Ensemble mit, spielt mit der Morgenland All Star Band, organisiert Benefizkonzerte und Workshops für Kinder in Flüchtlingslagern. Fühlt er sich im Exil?

Nicht Diktatoren definieren meine Heimat

Als Kinan Azmeh vor 16 Jahren nach New York gegangen war, um sein klassisches Klarinettenstudium zu vollenden, hatte er sein Land nicht wirklich verlassen. Er konnte hin und her reisen. Aufgrund des Kriegsausbruchs in seiner Heimat ist das nicht mehr möglich.

So sieht er sich einerseits im Exil, aber andererseits auch wieder nicht – ein ambivalentes Gefühl, das er so beschreibt: «Ich lehne den Begriff ‹Exil› immer noch ab, weil ich es nicht den Diktatoren überlassen will, wie sie meine Heimat definieren. Ich bin derjenige, der das entscheiden will. Es ist meine Sache, ob ich mich als Syrer definiere, mich als Syrer fühle – und ob ich aus New York oder Damaskus komme. Zumindest emotional treffe ich diese Wahl. In dieser Beziehung bin ich nicht im Exil, weil ich mit vielen syrischen Künstlern in Kontakt bin. Ich fühle mich noch immer als Teil dieser Gemeinschaft. Das ist für mich äusserst wichtig.»

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