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Musik Millionen von Songs, und alle hören das Gleiche

Noch nie konnten wir so viel Musik hören wie heute. Streamingdienste wie Spotify, Apple Music oder Deezer bieten ihrer wachsenden Hörerschaft unzählige Songs an. Wir haben immer und überall die Möglichkeit, spannende neue Musik zu entdecken. Das tun wir aber nicht, weil wir immer das gleiche hören.

Der weltweite Musikmarkt ist zum ersten Mal seit langem wieder gewachsen. Zu verdanken hat das die Musikindustrie ausgerechnet den Streamingdiensten, die einst als Totengräber der Branche gefürchtet wurden. Erstmals wurde im letzten Jahr mehr Geld mit digitaler Musik verdient als mit physischen Tonträgern.

Es verändert sich gerade ganz grundlegend, wie wir Musik hören. «Beim Wechsel zur digitalen Musik haben die Hörer einfach ihre Musiksammlung digitalisiert. Beim Wechsel zum Streaming haben Konsumenten plötzlich Zugang zu Millionen von Titeln», sagt Michael Nash von Universal Music in einer Pressemitteilung.

Die Musikindustrie erholt sich

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Der globale Musikmarkt verzeichnete 2015 erstmals seit langem wieder ein leichtes Wachstum. Erstmals wurde mit digitaler Musik mehr Geld verdient als mit physischen Tonträgern. In der Schweiz gingen die Verkäufe auch 2015 zurück, aber weniger stark als in den Vorjahren. Streaming wächst auch hier, den grössten Umsatz erzielen aber nach wie vor CDs.

Hitparade bleibt Hitparade

Ändert sich durch diese grosse Auswahl, welche Musik wir hören? Schaut man sich die Charts beim Streamingdienst Spotify an, findet man die genau gleichen Songs wie in der regulären Schweizer Singlecharts. Lorenz Haas, der Geschäftsführer des Dachverbandes der Schweizer Musiklabels, bestätigt diesen Eindruck: «Es wird beim Streaming nicht grundsätzlich andere Musik gehört». Die Charts bilde die meistgehörte Musik ab – und die sei bei allen Tonträgern ähnlich.

Anders ist es bei den Nischen, sagt Barbara Hallama. Sie arbeitet seit über 20 Jahren in der Musikindustrie und hat unter anderem für iTunes und Google Play Music gearbeitet. «Dadurch, dass Spotify alles hat, kommt man als interessierter Musikhörer schon mal vom Hölzchen zum Stöcken». Will heissen: Über die vorgeschlagenen ähnlichen Künstler klickt man sich auch rasch mal zu neuer Musik. Insofern bieten Streamingdienste eigentlich gute Möglichkeiten, aus dem Bekannten auszubrechen. «Aber viele wollen das gar nicht, die lassen dann einfach die Playlist durchlaufen», sagt Hallama.

Streamingdienste sind Plattenläden und Radiosender

Playlists sind bei Streamingdiensten die gängigste Art, Musik zu hören. Sie sind ein entscheidender Faktor dafür, welche Musik von einem breiten Publikum gehört wird. Musiklabel-Vertreter Haas beschreibt den Einfluss der Playlists so: «Um neue Musik bekanntzumachen, musste man früher schauen, dass die eigene CD vorne im Regal steht. Heute muss die Musik in den Playlists der Streamingdienste vertreten sein.»

Mit ihrer wachsenden Popularität haben Streamingdienste einen immer grösseren Einfluss darauf, welche Musik gehört wird. Den Anbietern geht es in erster Linie nicht darum, dem Hörer spannende neue Musik vorzustellen. Wie ein Formatradio wollen sie das Gros der Musikhörer glücklich machen, sagt Hallama: «Der normale Hörer schaltet ab, wenn er etwas nicht kennt. Wenn drei Stücke hintereinander kommen, die er noch nie gehört hat, dann wechselt er die Liste.»

Wie wir hören, nicht was wir hören

Der Umbruch, den Streamingdienste in der Musikindustrie ausgelöst haben, ändert wenig daran, welche Musik gehört wird. Wir hören heute mehr Musik, aber nicht andere Musik. Die Auswirkungen des Wandels sind vielmehr finanzieller Natur.

Es sieht danach aus, dass die serbelnde Musikindustrie die Talsohle wieder verlassen hat. Man kann im Zeitalter des Streamings also mit Musik immer noch Geld verdienen. Für Hallama sind aber noch längst nicht alle Fragen geklärt: «Die grosse Herausforderung in den nächsten Jahren wird die Frage sein, wie das Geld verteilt wird, das die Nutzer von Streamingdiensten ausgeben. Das Geld kommt noch nicht bei den Künstlern an.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 18.4.2016, 16.30 Uhr.

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