Wenn Matana Roberts in ihr Altsaxofon bläst, bleiben auch für Jazz-Laien wenige Fragen offen. Ihr Sound klingt nach ihrer Heimatstadt Chicago: ein grosser und fetter Klang.
Roberts spielt mit einem weiten Vibrato, wie es für die Saxofon-Heroen des Freejazz typisch ist. So wurde er ab den 1960er-Jahren in den Grossstädten des Nordens der USA gepflegt.
Das eigene Ding
Matana Roberts kommt 1978 zur Welt. Sie beginnt zu spielen, als Freejazz schon fast klassisch ist.
Wer aber um die Jahrtausendwende in Chicago Jazz-Saxofon spielen will, kommt fast zwangsläufig mit der AACM in Kontakt: der «Association for the Advancement of Creative Musicians». Dort wird Roberts von Musikern unter die Fittiche genommen, die diese Spieltradition verkörpern.
Matana Roberts allerdings merkt bald, dass sie sich aus dieser Tradition und dieser Welt befreien muss, um ihr eigenes Ding zu finden. Sie zieht weg, zuerst nach New York, dann nach Montreal.
Ihr «eigenes Ding», das verfolgt sie seit gut zehn Jahren. Um dieses greifbar zu machen, muss man von der Person Matana Roberts ausgehen.
Sklaven als Vorfahren
Roberts wird in eine schwarze Mittelstandsfamilie geboren. Ihre Eltern sind Lehrer, kultivierte Leute, die sich auch für Geschichte interessieren, insbesondere diejenige ihrer Familie. Dieses Interesse geben sie an ihre Tochter weiter.
Matana Roberts Familie stammt, wie fast alle schwarzen Familien in den USA, von Sklaven ab, die ursprünglich aus Westafrika kamen. Weil die Sklaverei ein Geschäft war, ist sie gut dokumentiert: Es gibt Urkunden, Kaufverträge, Inventare, anhand derer man zurückverfolgen kann, woher eine Person stammt, welche Wege zurückgelegt wurden, was mit den einzelnen Mitgliedern einer Familie geschah.
Der Weg zurück
«Paper trail» nennt Matana Roberts diesen Weg. In ihrem Fall führt er bis zu einem Sklavenhalter, der aus Wales stammte und Roberts hiess. Um 1670 kam er in die Neue Welt.
Roberts kann ihre schwarzen Vorfahren bis in die Anfänge des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen, als sie, aus Afrika kommend, in Virginia landeten. Ihre Geschichten sind diejenigen, die der US-amerikanische Schriftsteller Colson Whitehead in seinem hochgelobten Roman «Underground Railroad» fiktiv nacherzählt.
Nur: Matana Roberts ist nicht Historikerin, sondern Künstlerin. Ihre Mittel, sich mit ihrer Herkunft zu befassen, sind musikalisch. Da kommt «Coin Coin» ins Spiel.
In Roberts Ahnengalerie findet sich im 18. Jahrhundert eine Frau namens Marie-Thérèse Metoyer. Sie war als Sklavin geboren worden, wurde freigekauft, stieg zur erfolgreichen Geschäftsfrau auf.
Ihr Spitzname war Coin Coin. Coin Coin wird zu Matana Roberts Blaupause, anhand derer sie ihre persönliche Geschichte und zugleich diejenige der Schwarzen in den USA musikalisch erzählen kann.
Langzeitprojekt «Coin Coin»
Es ist allerdings eine lange Geschichte, eine CD reicht nicht, um sie zu erzählen. Am Schluss soll «Coin Coin», dieses Opus Magnum, zwölf CDs umfassen. Mit musikalischen Mitteln will Matana Roberts einen Bogen vom 18. Jahrhundert bis heute schlagen.
Es ist nicht einfache Musik, die sie ihrem Publikum zumutet. Aber eine verschlungene und komplizierte Geschichte wie diese, mit Schmerz und Leid und unfreiwilliger Migration, kann wohl nicht in wenigen einfachen Worten erzählt werden. Und auch nicht in einfachen Tönen.