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Stanley Kubrick und Beethoven Heilige Klänge und Foltermusik: Beethoven in «Clockwork Orange»

Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie spielt im Film «A Clockwork Orange» eine zentrale Rolle. Regisseur Stanley Kubricks Einsatz der «Neunten» zeigt die wechselvolle Rezeptionsgeschichte der Sinfonie.

Kubrick ist immer gut. Gut für Überraschungen, auch Jahre nach seinem Tod. Überraschungen, weil seine Filme in ihrer dichten Konstruktion stets neue Sichtweisen zulassen. Sicht- und Hörweisen, denn der Regisseur von Kult-Filmen wie dem mysteriösen Weltraum-Epos «2001: A Space Odyssey» oder dem nicht minder geheimnisvollen Horrorfilm «The Shining» hatte ein enges Verhältnis zu klassischer Musik.

Ein fanatischer Beethoven-Hörer

So dreht sich in «2001» ein karussellförmiges Raumschiff zu den Walzerklängen von Johann Strauss’ «An der schönen blauen Donau». Oder ein Satz aus Franz Schuberts Klaviertrio Es-Dur verkörperlicht im Historienfilm «Barry Lyndon» die emotionale Versteinerung einer dysfunktionalen Ehe zwischen dem Titelhelden und einer alternden Gräfin.

In «A Clockwork Orange» (1971) setzt Kubrick Beethoven und speziell dessen 9. Sinfonie in vielfältiger Weise ein. Alex, der Anführer einer Gang von jugendlichen Randalierern, ist ein fanatischer Beethoven-Hörer.

«A bit of the old Ludvig van»

Auf seinem Bett sitzend lauscht er dem Scherzosatz der Sinfonie, vergötternde Worte an deren Schöpfer murmelnd. Dazu sieht er vor seinem inneren Auge extreme Gewaltszenen. Explosionen, Strangulationen, sich selbst als Vampir und – ein Schuss Blasphemie darf’s auch sein – eine Gruppe nackter Jesusse in tanzender Position. Beethoven ist für ihn also das höchste. Und hemmungslose Gewaltfantasien eben auch.

Die Ludovico-Therapie

Genau diese Verbindung macht sich im Film eine Gruppe von Wissenschaftlern zunutze, um den mittlerweile wegen Vergewaltigung und Mordes verhafteten Alex einer Therapie zu unterziehen, der «Ludovico-Therapie» in Anspielung auf den Vornamen Beethovens.

Im Gefängnisspital wird ihm Beethoven und somit für Alex fast schon heilige Musik vorgespielt. Zusammen mit Bildern von Gewalt, die selbst für den davor wenig zurückschreckenden Randalierer zu viel sind. Diese «Therapie» kann man als Zuschauer dieser Szenen nicht anders werten als genauso pervers wie die Missetaten Alex’ und seiner Gang selbst.

Ein Mann mit gequältem Blick mit einer Apparatur auf dem Kopf, die ihm die Augen offen hält.
Legende: «Ludovico-Therapie»: Alex wird im Gefängnis Beethoven vorgespielt, zusammen mit Bildern von Gewalt. imago/Cinema Publishers Collection

Nazi-Propaganda, Hymne für Europa

Beethoven war im bürgerlichen Kunstverständnis der 1970er-Jahre ein Säulenheiliger. Dies zusammenzuführen mit der Gewalt einer Jugendgang wie aber auch einer staatlichen Institution hat wohl noch heute Sprengpotenzial.

Man kann Kubricks Einsatz der «Neunten» daneben auch als kritischen Beitrag lesen zur wechselvollen Rezeptionsgeschichte dieser Sinfonie. Einer Musik, die je nach politischer Lage mal als Propaganda verwendet wurde für die Nationalsozialisten, mal als Hymne für ein vereinigtes Europa – was sie übrigens bis heute ist.

Musik, auch solche mit einem Text wie Schillers «Ode an die Freude», lässt sich allzuleicht einer wie auch immer erwünschten Lesart anpassen. Auf Kubricks «A Clockwork Orange» gemünzt: auf Gewalt im Sinne des Rechtstaates und auf solche gegen diesen. Die «Ludovico-Therapie» übrigens fruchtet bei Alex nicht. Schon nach einigen Wochen ist sein Verhalten wieder ganz das alte.

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