Mittwochabend in der Elbphilharmonie in Hamburg. Der grosse Saal ist ausverkauft – wie fast immer. Ein Jazzkonzert steht auf dem Programm.
Der Zürcher Pianist Nik Bärtsch spielt mit seiner Band, nach der Pause tritt sein Kollege Vijay Iyer auf. Diese Musik trifft offenbar nicht jeden Geschmack.
Geräusche des Publikums gut hörbar
In Scharen verlassen die Leute den Saal. Am Ende ist mehr als die Hälfte der Plätze leer.
Das stört nicht nur die Musiker auf der Bühne, sondern auch die anderen Konzertbesucher. Denn die gute Akustik in der Elbphilharmonie macht auch die Geräusche des Publikums gut hörbar. Und durch die Bauweise ist für alle sichtbar, wer den Saal verlässt.
Reise nach Hamburg, Konzertbesuch inklusive
«Ein groteskes Szenario», schreiben Hamburger Medien . Und eines, das sich regelmässig in der Elbphilharmonie abspielt. Mitunter warten draussen bereits Busse auf die flüchtenden Saaltouristen.
Es sind oft Pauschalreisende, die neben Stadtführung und Hafenrundfahrt auch ein Konzert in der Elbphilharmonie im Paket gebucht haben – unwissend, welche Musik sie erwartet.
Ein Problem, das den guten Ruf der Elbphilharmonie beschädigt? Nein, meint Intendant Christoph Lieben-Seutter: «Das Phänomen ist ja nicht neu. Es gibt Häuser wie das Opernhaus in Sidney oder die Staatsoper in Wien, wo jeden Abend hunderte Touristen in den Sälen sind.»
Das vielfältige Programm als Krux
Diese Häuser aber bieten Konzerte an, die ausschliesslich für den touristischen Markt konzipiert sind. Anders die Elbphilharmonie, so Lieben-Seutter: «Unser Programm ist vielfältiger.»
Es gebe auch elektrische Musik, Jazz, World oder Pop. «Wenn man sich vorher nicht damit auseinandersetzt, was an diesem Abend angesetzt ist, kann es zu Überraschungen kommen.»
Benimmregeln per Mail
Handlungsbedarf sieht der Intendant keinen. Schon jetzt halte die Elbphilharmonie für ihre Gäste eine Art Verhaltenskodex bereit: Wer Tickets kauft, erhält vor der Veranstaltung nochmals eine Mail.
«Da ist auch ein Hinweis drin, wie man sich im Konzert optimal verhält – wie das so ist mit dem Klatschen und mit dem Räuspern», so Lieben-Seutter. Da stehe auch drin, dass man den Saal am besten zwischen den Stücken verlässt.
Offenbar erreicht dieser Verhaltenskodex die flüchtenden Pauschaltouristen nicht. Ganz unschuldig an der Situation ist die Elbphilharmonie freilich nicht, denn das Haus braucht – des Geldes wegen – viele Besucherinnen und Besucher.
Dass jedoch aus rein finanziellen Gründen grosse Kartenkontingente an Reiseunternehmen abgegeben werden, verneint Christoph Lieben-Seutter: «Nicht mal fünf Prozent der Tickets gehen weiter an Reiseveranstalter.»
«Das richtige Konzert für das richtige Publikum»
Offenbar verteilen sich die Kartenkontingente für Reiseveranstalter aber ungleichmässig auf die Konzertangebote. So kann es mitunter sein wie in jenem Jazzkonzert: Fast der halbe Saal ist mit Pauschalreisenden besetzt, die dann noch während des Konzerts den Saal verlassen.
Was also tun? «Die Hauptmassnahme ist, das richtige Konzert dem richtigen Publikum anzubieten», erklärt Lieben-Seutter.
So biete man bestimmte Konzerte nur für Reiseveranstalter an: «Da spielt ein gutes lokales Orchester, das Programm ist schöne gute Klassik. Die Qualität ist gut – aber es besteht nicht die Gefahr, dass man etwas erlebt, mit dem man überhaupt nicht gerechnet hat.»
Keine Veränderung in Sicht
Bislang finden jährlich nur zwölf solcher Extrakonzerte statt. Die Saaltouristen werden also auch weiterhin die normalen Konzerte mit ihren anspruchsvollen Programmen besuchen – und womöglich wieder geräuschvoll verlassen.
Wer der Musik in Ruhe lauschen will, muss wohl auf traditionellere Konzertorte ausweichen. Denn ein Ende des Besucheransturms auf die Elbphilharmonie ist nicht in Sicht.