Als Sohn einer Tanzlehrerin aus Brasilien und eines Schweizer Rockmusikers bekam Marc Sway die Musik in die Wiege gelegt.
Wie er heute versucht, seine beiden Heimatländer nicht ständig zu vergleichen, erzählt er im Gespräch.
SRF: Sie waren vergangenen März in Rio de Janeiro und machten dort Aufnahmen für Ihr neues Album. Bereisten Sie die Heimat Ihrer Mutter bereits als Kind?
Marc Sway: Ja, etwa einmal im Jahr besuchten wir unsere brasilianische Verwandtschaft, da meine Mutter Heimweh hatte. Die Flüge für eine ganze Familie kosteten damals ein Vermögen.
Den Rest des Jahres mussten Telefonate genügen. Ich erinnere mich gut, wie mein Vater jeweils einen kleinen Tod starb, wenn er die neue Telefonrechnung in den Händen hielt.
Und jetzt reisten Sie zum ersten Mal beruflich nach Brasilien?
Nein, ich war bereits 2016 als Schweizer Kulturbotschafter an den Olympischen Spielen in Rio und gab Konzerte. Das war der Auslöser, mich musikalisch mit meiner zweiten Heimat auseinanderzusetzen.
Am Ende dieses Aufenthalts meinte der Bassist Simon Winiger, dass er mich in den zwei Wochen Brasilien besser kennengelernt habe, als in den acht Jahren, in denen wir schon gemeinsam auf der Bühne standen.
Da realisierte ich: Ich muss nochmals zurückkehren – vielleicht auch, um besser verstanden zu werden.
Menschen mit Eltern aus unterschiedlichen Ländern werden oft als «halb» Schweizer, «halb» von anderswo bezeichnet. Doch Identität variiert je nach Lebensabschnitt und Kontext – in welchem Verhältnis stehen diese beiden Seiten für Sie?
Früher habe ich die beiden Nationen stets verglichen. Erst in den vergangenen Jahren realisierte ich, dass mich das nicht weiterbringt. Meine Haltung hat sich geändert: Ich ziehe aus beiden das Gute und vergleiche die zwei Nationen nicht mehr.
Ich bin grösstenteils hier in der Schweiz aufgewachsen und zur Schule gegangen. Das prägt. Meine Art zu denken und mich zu organisieren sind sehr schweizerisch.
Brasilien hingegen war ein kleiner, konservierter Kosmos. Wenn ich als Kind nach der Schule nach Hause kam, tauchte ich in eine Art «Little Brasil» ein.
Was waren denn Eigenheiten dieses «Little Brasil»?
Ganz in der Gegenwart zu leben. Dass der Moment zählt – dies lebte unsere Mutter vor. Aber auch der Bossa Nova: ein schwierig zu spielender Musikstil mit äusserst komplexer Harmoniefolge, die führende Melodie hingegen klingt immer ganz leicht.
Der Bossa Nova ist sinnbildlich für die brasilianische Musik, aber auch das dortige Leben: die Basis kompliziert, der Klang ganz leicht.
Dieses «Little Brasil», wie Sie es beschreiben, haben Sie als Erwachsener verlassen. Was veränderte sich?
Darüber habe ich bisher nie nachgedacht. Es entstand eine Art Vakuum. Ich wollte erst mal Neues entdecken und nicht immer nur ins Heimatland meiner Mutter reisen. Das kennen vermutlich viele Einwandererkinder.
Bis halt der Moment kommt, in dem man sagt: Jetzt möchte ich genau wissen, wo meine Wurzeln liegen, möchte das Land alleine kennenlernen.
Ich reiste dann mit meiner Frau und meinen Kindern zwei Monate durch Brasilien und setzte mich vertieft mit der dortigen Kultur auseinander.
Und dazu gehört nun auch die musikalische Beschäftigung mit dieser Heimat?
Genau. Das Bedürfnis, diese beiden Welten musikalisch zusammenzubringen, hatte ich schon immer. Meine Eltern, beides Musiker, organisierten Konzerte und brasilianische Feiern, an denen musiziert und getanzt wurde.
Bereits mit vier Jahren stand ich mit auf der Bühne. Musik war die gemeinsame Sprache unserer Familie.
Doch die eigene Zusammenführung der beiden musikalischen Welten gelang mir erst nicht. Ich benötigte mehrere Anläufe, bis mir klar wurde, dass es keine Frage des Klanges sein muss, sondern um Emotionen gehen kann.
Dass ein Song gewisse Emotionen transportieren kann, die ich meiner brasilianischen Heimat zuordne, ohne dass er auch brasilianisch klingt. Das war eine neue Erkenntnis.
Heimat bedeutet für mich Entspannung und Wärme. Das Gefühl, angekommen zu sein. Ein Ort kann das verstärken. In der Musik finde ich dieses Gefühl ebenfalls, stärker noch als an Orten.
Egal, wo auf der Welt ich mich gerade aufhalte: Wenn ich musiziere, fühle ich mich für einen Moment zuhause. Das ist die Heimat, die ich mit und in mir trage.
Das Gespräch führte Katharina Flieger.