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Krankheiten schrecken nicht mehr
Aus Wissenschaftsmagazin vom 15.09.2018. Bild: Keystone
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Reizthema Impfen Impfen – das perfekte Biotop für krude Thesen

Der neue Dokumentarfilm «Eingeimpft» befeuert die Impf-Debatte. Doch die Faktenlage ist eindeutig: Impfen schützt Leben.

Frisch gebackene Eltern sind vollauf beschäftigt, aber auch gerne mal völlig überfordert. Und dann kommt auch noch der Kinderarzt und sagt: Die ersten Impfungen wären dran. Was jetzt?

Diese Frage ist Kern des Films «Eingeimpft» von David Sieveking. Der Filmemacher dokumentiert, wie es ihm selbst ergeht.

Denn die Impfdebatte in seiner kleinen, wachsenden Familie läuft alles andere als rund. Die Mutter seiner Kinder ist skeptisch und hochemotional, er dagegen würde gerne impfen. So beginnt die Suche nach einem Kompromiss, die Sieveking filmisch nachzeichnet.

Viel Raum für dubiose Thesen

Das Ergebnis kommt diese Woche in die Schweizer Kinos. Aber schon jetzt lässt der Film – vor allem in Deutschland – die Gemüter hochkochen.

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Trailer: «Eingeimpft»
Aus Kultur Extras vom 19.09.2018.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 56 Sekunden.

Der Vorwurf: Der Film stelle dubiose Theorien über Impfschäden den harten Fakten aus der Medizin unkommentiert gegenüber und er gebe dem Dubiosen viel zu viel Gewicht. Die Angst der meisten Kommentatoren: der Film könnte Impfskeptiker stärken und unsichere Eltern noch unsicherer machen.

Den Vorwurf muss sich der Filmemacher gefallen lassen. Bleibt die Frage: Nährt dieser Film tatsächlich Zweifel? Und wenn ja: was hilft dagegen?

Filmkritik zu «Eingeimpft»

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David Sieveking wurde bekannt mit sympathischen, persönlichen Dokfilmen: «Vergiss mein nicht» (2012) über die Demenz seiner Mutter, «David wants to Fly» (2010) über seine Enttäuschung mit seinem Idol David Lynch. Für «Eingeimpft» setzt er wieder auf den bewährten familiären Ansatz und stellt die Diskussion mit seiner Frau um die Kinderimpfung ins Zentrum.

Aber damit läuft er dieses Mal in die Ausgewogenheitsfalle eines pervertierten Medienverständnisses und produziert einen gefährlich naiven Film. Dass Ehemann David die Impfängste und das Bauchgefühl seiner Frau ernst nimmt, sorgt für Spannung, Sympathie und effizientes Gefühlskino.

Dass er aber als Dokumentarfilmer den wenigen wissenschaftlichen (und etlichen pseudowissenschaftlichen) Impfgegnern den gleichen Raum und das gleiche Gewicht gibt wie allen anderen, überhöht den familiären Glaubenskrieg zum pseudobjektiven Diskurs – und macht «Eingeimpft» zum Propagandavehikel.

Michael Sennhauser

Die Realität in der Schweiz

Die Impfraten steigen hierzulande, langsam aber stetig. In einigen Altersgruppen liegen sie inzwischen bei rund 95 Prozent, so hoch wie Experten sie sich wünschen.

In der Gesamtbevölkerung sind sie bei Masern zum Beispiel immerhin so hoch, dass die ansteckende Infektionskrankheit in der Schweiz schon seit fast zehn Jahren keinen wirklich grossen Ausbruch mehr ausgelöst haben. Das klingt gut.

Doch im Alltag von Kinderärzten spielt Impfskepsis immer noch eine grosse Rolle. Christoph Berger, Kinderarzt am Kinderspital Zürich und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen, sagt, wenn er im Sprechzimmer im Impfgespräch auf Unsicherheiten stosse, zähle er keine Fakten auf, sondern stellt die Frage: «Woher kommt dieses Zögern, dieser Zweifel?»

Keine Angst vor Krankheiten

Die Antworten, die er von besorgten Eltern hört, drehen sich meist um mögliche Impfschäden. Die Risiken der Krankheiten, gegen die geimpft werden soll, kämen kaum zur Sprache.

«Die Krankheiten sind nicht mehr präsent, also werden sie auch nicht mehr als Gefahr wahrgenommen», sagt Christoph Berger. Es fehle das Erfahrungswissen. Und dieses lässt sich nicht simulieren.

Es lässt sich allenfalls ersetzen, allerdings nur im persönlichen Gespräch. «Ich versuche immer, die Diskussion auf die individuelle Ebene herunterzubrechen», sagt Berger.

Nur so könne er versuchen, die abstrakten Fakten greifbarer zu machen: dass etwa bei 10'000 Masernkranken ein bis drei der Erkrankten sterben, und mindestens noch einmal so viele eine Hirnhautentzündung entwickeln und Impfschäden im Verhältnis dazu extrem selten sind.

Die Freiheit des Einzelnen

Die endgültige Entscheidung müsse, auch wenn das schwer auszuhalten sei, jedem selbst überlassen bleiben.

Argumente, dass die Bevölkerung insgesamt geschützt werden müsse, dass man andere anstecken und in Gefahr bringen könne, helfen kaum weiter, sagt Berger. «Sobald man ‹die Anderen› ins Spiel bringt, sobald so ein Gruppendruck aufkommt, wird es emotional. Das polarisiert, und führt nicht zum Ziel.»

Mühsam sei, dass manche Thesen, wie die, dass Autismus und Impfen zusammenhängen könnten, immer noch und immer wieder auftauchten, obwohl sie inzwischen längst mit viel Aufwand widerlegt worden sind.

Autismus und Impfen – das lange Leben einer absurden These

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Die Behauptung Autismus und Impfen hingen zusammen, geht auf diese Studie zurück, in der ein britischer Arzt Andrew Wakefield 12 Kindern untersuchte. Das öffentliche Echo war enorm und die Impfraten gingen etwa in Grossbritannien in den frühen 2000ern in den Keller.

Die Folge: mehrere grosse Masernausbrüche. Forscher haben seitdem extrem viel Aufwand betrieben, um zu prüfen, ob es diesen Zusammenhang überhaupt gibt. Und die Antwort ist: Nein.

Wakefields Studie wurden inzwischen wegen grober Fehler zurückgezogen. Trotzdem hält sich die These hartnäckig. Es reicht also, wenn jemand – in dem Fall ein einzelner britischer Arzt – halbwegs überzeugend etwas in die Welt setzt, schon macht sich die Unsicherheit breit.

Biotop für krude Thesen

Das Thema Impfen ist nach wie vor das perfekte Biotop nicht nur für Skepsis und Ängste, sondern – leider – auch für Verschwörungstheorien.

Wie wirkt nun in diesem Kontext der neue Film? Sät er Zweifel? Leider ja.

Obwohl David Sieveking im Grunde nur eine persönliche Entscheidung trifft, hat er eines übersehen: sobald er diese Entscheidung und den Weg dorthin quasi exemplarisch öffentlich macht, ist sie eben nicht mehr bloss persönlich. Sie wirkt – ob er will oder nicht – beispielhaft.

Kinostart: 20. September 2018

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