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Sozialistischer Realismus Künstler in der Sowjetunion betrieben mehr als Schönfärberei

Mit Enthusiasmus reagierten russische Künstler vor 100 Jahren auf die Revolution und begründeten den Sozialistischen Realismus. Ein Kunststil, der immer hämischer wurde – und mit der Sowjetunion unterging. Ein Rückblick in acht Beispielen.

  • 1. Alexander Samochwalow: «Textilfabrik», 1929

    Vor 100 Jahren beflügelte die Utopie einer kommunistischen Gesellschaft junge russische Künstler. Sie stellten ihre Malerei in den Dienst dieser Ideologie und begründeten damit den Sozialistischen Realismus.
    Textilfabrik, Alexander Samochalow, 1929
    Legende: Textilfabrik, Alexander Samochalow, 1929 Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg

    Wie viele Maler der revolutionären Frühzeit fokussiert Alexander Samochwalow auf die Menschen in der modernen, industriellen Arbeitswelt. Hier bildet er einerseits die Arbeit im Kollektiv und den technischen Fortschritt in der jungen Sowjetunion ab, andererseits ganz grundsätzlich die kommunistische Utopie der klassenlosen Gesellschaft.

  • 2. Juri Pimenow: «Wir errichten den Sozialismus», 1928

    Einen grossen Stellenwert erringt im Sozialistischen Realismus die Plakatkunst. Mit diesem Mittel bringt die Partei ihre sozialistischen Versprechen unter das Volk.
    Juri Pimenow: «Wir errichten den Sozialismus» 1928
    Legende: Juri Pimenow: «Wir errichten den Sozialismus» 1928 Collection Merrill C. Berman

    Künstler wie Juri Pimenow haben den Auftrag, die Realität nicht bloss abzubilden, sondern zu gestalten, den Menschen Handlungsanweisungen und Leistungsvorgaben zu vermitteln. Es geht darum, die kapitalistischen Gesellschaften zu überflügeln, wie Lenin in einer Rede 1921 postuliert hat.

  • 3. Alexander Gerassimow: «Stalin auf dem XVI.Parteikongress», 1930er

    Die junge Sowjetgesellschaft brauchte neue Heldenfiguren. Früh schon entwickelte sich deshalb ein hysterischer Personenkult um die Parteiführer, insbesondere Lenin und später Stalin.
    Alexander Gerassimow: «Stalin auf dem XVI. Parteikongres», frühe 1930er-Jahre
    Legende: Alexander Gerassimow: «Stalin auf dem XVI. Parteikongres», frühe 1930er-Jahre Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau

    Sie künstlerisch verewigen zu dürfen, wurde nur besonders linientreuen Künstlern wie Alexander Gerassimow gewährt. Zum Lohn erhielten sie Funktionärsstatus und Privilegien, und einige wurden sogar selber in Bildern und Statuen porträtiert.

  • 4. Kusma Petrow-Wodkin: «Einweihungsfeier», 1937

    Im Zuge von Stalins zunehmend brutaler Säuberungspolitik gerieten auch die Künstler unter enormen Druck. Abweichungen von der Parteilinie und vom Sozialistischen Realismus oder gar Kritik konnten Straflager oder Tod bedeuten.
    Kusma Petrow-Wodkin: «Einweihungsfeier (Arbeiter Petrograd)», 1937
    Legende: Kusma Petrow-Wodkin: «Einweihungsfeier (Arbeiter Petrograd)», 1937 Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau

    Nur selten erkennt man im damaligen Kunstschaffen subversive Züge wie in Petrow-Wodkins «Einweihungsfeier»: Der Haufen Geschirr und Wäsche im Spiegel signalisiert, dass hier dreckige Wäsche gewaschen wird, dass Denunzianten und Verleumder am Werk sind, diejenigen Figuren nämlich, welche direkt die Bildbetracher ins Visier nehmen, förmlich zu belauern scheinen.

  • 5. Alexander Deineka: «Bau des kolchoseeigenen Kraftwerks», 1952

    Wie die Wirtschaft stand auch die Kunst in der Sowjetunion unter dem Druck, Erfolge auszuweisen. Alexander Deinekas Gemälde von der Inbetriebnahme eines kolchoseeigenen Kraftwerks ist ein typisches Anschauungsbeispiel – auch für die Schönfärberei, die mit solchen «Erfolgsmeldungen» jeweils einherging. Die Menschen sind schön, vital und gut gelaunt, und immer herrscht eitel Sonnenschein.
    Alexander Deineka: «Bau des kolchoseeigenen Kraftwerks», 1952
    Legende: Alexander Deineka: «Bau des kolchoseeigenen Kraftwerks», 1952 Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau

  • 6. Erik Bulatov: «Krasikov Street», 1977

    Nach Stalins Ableben 1953 und dem politischen Tauwetter unter Chruschtschow entwickelte sich allmählich eine künstlerische Untergrundszene, welche die Stilmittel des Sozialistischen Realismus umdrehte und zur Systemkritik verwendete.
    Erik Bulatov: «Krasikov Street», 1977
    Legende: Erik Bulatov: «Krasikov Street», 1977 Collection Zimmerli Art Museum at Rutgers University, Norton and Nancy Dodge Collection of Nonconformist Art from the Soviet Union

    Erik Bulatovs «Krasikov Street» macht das besonders anschaulich: Lenins zukunftsweisender Auftritt auf dem grossen Strassenplakat lässt die Menschen kalt, sie gehen achtlos daran vorbei – und erst noch in die Gegenrichtung.

  • 7. V.Komar/A.Melamid: «Visit to the Museum of the Revolution», 1981

    Ab den 1960er-Jahren flohen oder emigrierten einige russische Maler in den Westen. Vitaly Komar und Alexander Melamid setzten sich im New Yorker Exil besonders intensiv und durchaus sarkastisch mit ihrer künstlerischen Herkunft auseinander. Sie schufen unter anderem 1981/82 dieses allegorische Bild: Die russische Revolution als kronentragende Totgeburt.
    Vitaly Komar und Alexander Melamid: «Visit to the Museum of the Revolution», 1981/82
    Legende: Vitaly Komar und Alexander Melamid: «Visit to the Museum of the Revolution», 1981/82 Chrysler Museum of Art, Norfolk

  • 8. Vladimir Dubossarsky/Alexander Vinogradov: «At the Factory», 1995

    Auch in Russland selber wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit dem Sozialistischen Realismus abgerechnet.
    Vladimir Dubossarsky und Alexander Vinogradov: «At the Factory», 1995
    Legende: Vladimir Dubossarsky und Alexander Vinogradov: «At the Factory», 1995 Sepherot Foundation, Liechtenstein

    Mit einiger Häme inszenieren Vladimir Dubossarsky und Alexander Vinogradov postsowjetische Fabrikhelden, die – anders als ihre Vorgänger – nicht mehr den sozialistischen Fortschritt vorantreiben, sondern die Dämonen der Vergangenheit schlachten.

100 Jahre Russische Revolution

Vor 100 Jahren fand die russische Revolution statt.
Doch im heutigen Russland wurde der Jahrestag kaum gefeiert,
Nach dem Sturz des Zaren im Februar übernahmen Revolutionäre wie Lenin und Trotzki das Sagen.
Viele von ihnen hatten sich zuvor im Exil in der Schweiz aufgehalten.
Das Zentrum Paul Klee und das Kunstmuseum in Bern widmen sich der Oktoberrevolution 1917 mit einer gemeinsamen Ausstellung.
Hier geht's zum Beitrag in der «Tagesschau» vom 12. April 2017
Die Ausstellung «Die Revolution ist tot. Lang lebe die Revolution!» läuft bis zum 9. Juli 2017.
Mehr Infos gibt's auf der Seite des Museums.
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Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 19.04.2017, 22:25 Uhr

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