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Das Schweigen der Vögel
Aus Wissenschaftsmagazin vom 16.03.2019.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 57 Sekunden.
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Artensterben Schwindendes Vogelparadies

Ob Feldlerche oder Kiebitz: Viele Vogelarten drohen zu verschwinden, auch in der Schweiz. Was tun?

In der Wiese ruft ein Grünspecht, eine Gruppe Rostgänse fliegt über einen Acker. In einer alten Allee aus Obstbäumen turnen Kohlmeisen und Grünfinken. In der Vogelwarte Radolfzell, nordwestlich des Bodensees, hat man das Gefühl, man befinde sich in einem grünen Paradies.

Mittendrin steht Peter Berthold mit seinem langen weissen Bart. Der 80-Jährige kennt das Gebiet seit mehr als einem halben Jahrhundert.

Ein Mann mit Bart.
Legende: Peter Berthold engagiert sich seit über 60 Jahre gegen den Vogelschwund. SRF / Christian von Burg

Als Schüler hat er hier Vögel beringt. Viele Jahre war er wissenschaftlicher Leiter der Vogelwart, die seit dem Zweiten Weltkrieg jeden Brutvogel kartiert.

Nur ein Drittel aller Vögel sind noch da

Hier sei kein Paradies mehr, sagt Berthold: «Ein Drittel aller Vogelarten ist verschwunden.» Es gebe keinen Raubwürger mehr, keinen Wiedehopf, kein Rebhuhn, keinen Kiebitz – die Aufzählung nimmt kein Ende.

Ein weiteres Drittel ehemals häufiger Vögel wie die Rauchschwalbe oder der Wendehals sind kurz vor dem Verschwinden. Nur ein Drittel bleibt stabil oder wächst.

Eine Rauchschwalbe füttert ihre Jungen.
Legende: Heute ein seltener Anblick: Eine Rauchschwalbe füttert ihre Jungen. Keystone / Birdlife / Sergio Tirro

Wenige Arten sind neu dazugekommen: etwa die Rostgans, der Weissstorch oder das Schwarzkehlchen. Sie wiegen den Verlust der vielen anderen aber nicht auf.

Eine ökologische Wüste

Es gibt verschiedene Gründe für diesen Niedergang. Einschneidend waren in den letzten Jahrzehnten vor allem Veränderungen in der Landwirtschaft.

Wiesen wurden früher zweimal im Jahr geschnitten, heute 4,5- oder gar 6mal. Seit den 1960er-Jahren wird intensiv gedüngt. Einige wenige Grasarten machen sich breit und ersetzen die ehemalige Vielfalt.

Ein Kiebitz in der Wiese.
Legende: In Radolfzell bereits verschwunden: der Kiebitz. Keystone / Andy Müller

Schmetterlinge, Wildbienen und Käfer, die meist auf bestimmte Pflanzen spezialisiert sind, verschwinden. «Die grüne Fläche sieht der von früher zwar ähnlich. Aber sie ist eine ökologische Wüste», sagt Berthold.

Zu dicht zum Brüten

In einem modernen, extrem dicht bewachsenen Weizenfeld kann zum Beispiel eine Lerche nicht mehr brüten. Sie kann sich darin kaum bewegen – und selbst wenn, findet sie nichts zu fressen.

Ein Vogel in einem Feld.
Legende: Zu dicht bepflanzte Weizenfelder machen der Feldlerche den Garaus. Imago / blickwinkel

Die Feldlerche, vor 50 Jahren ein sehr weit verbreiteter Vogel, ist daher am verschwinden. Auch die Rebhühner, von denen es früher in Deutschland 10 Millionen gab, sind fast weg.

Ausgleichsfläche reicht nicht

In der Schweiz sieht es nicht besser aus: Mit Deutschland und Belgien zählt es zu den europäischen Ländern, die ihre Vogelpopulation am stärksten herunter gewirtschaftet haben. Das Landwirtschaftsland wird hier intensiv genutzt und die Bevölkerungsdichte ist sehr hoch.

Vogelsterben in der Schweiz

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Weltweit sind 13 Prozent der Vogelarten vom Aussterben bedroht. In der Schweiz sind es dreifach so viele wie im Rest der Welt. Das zeigte letztes Jahr eine Studie von BirdLife.

Wie kam es soweit? Dieser Frage geht der «DOK»-Film «Das Schweigen der Vögel» nach. Er wurde am 20.3.19 ausgestrahlt.

Alleine in der Schweiz werden jedes Jahr über 410 Millionen Franken Bundesgelder an die Landwirte verteilt, ausdrücklich und alleine, um die Biodiversität zu fördern.

Rostgans im Anflug.
Legende: Einer der wenigen Überflieger im Vogelreich: die Rostgans. Imago / BIA

Doch auf wenigen Prozent der Flächen Ausgleich zu schaffen reicht offensichtlich nicht. Grossflächige Änderung bleiben politisch illusorisch.

Naturgärten als Alternative

Was also tun? Berthold hat in den letzten zehn Jahren zusammen mit über 100 Gemeinden am Bodensee grosse Weiher angelegt. Ohne Gelder vom Staat.

Das sei zwar nur «ein Tröpfchen auf dem heissen Stein», weiss Berthold. Er bleibt jedoch kämpferisch: Jeder und jede könne etwas tun. In seinem eigenen, naturnahen Garten brüten zum Beispiel 25 verschiedene Vogelarten.

«Mission B» – für mehr Biodiversität

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Mit dem Projekt «Mission B» setzt sich SRF – gemeinsam mit RTS, RSI und RTR – für mehr Biodiversität und natürliche Lebensräume ein. Jede und jeder kann mitmachen.

In Deutschland gebe es so viele Kleingartenfläche wie Naturschutzgebiete, gibt Berthold zu bedenken: «Wenn das alles genutzt würde, hätten wir, zumindest in den Gärten, paradiesische Verhältnisse.»

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