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«Hört sich an, als ob Forschung eine Sünde wäre!»

Es ist so weit: Der erste Cybathlon findet statt. Mehr als drei Jahre hat ETH-Professor Robert Riener geplant. Im Vorfeld musste er sich nicht nur mit Organisatorischem befassen. Er war auch mit kritischen Stimmen konfrontiert. Riener über letzte Vorbereitungen, Skeptiker und die Zukunft des Events.

Herr Riener, seit mehr als drei Jahren stecken Sie in den Vorbereitungen für den Riesen-Event Cybathlon: 73 Athleten aus 25 Ländern sind beim «Wettkampf der Prothesen» dabei. Am 8. Oktober ist es nun soweit — nervös?

Robert Riener: Ja, ich bin schon sehr nervös. Es läuft alles nach Plan, aber natürlich gibt es Risiken: Wenn zum Beispiel ein Team ausfallen sollte, weil es nicht ganz fertig wird, ein Pilot krank ist oder der Zoll Probleme macht.

Zur Person

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Legende: ETH Zurich / Alessandro Della Bella

Robert Riener ist Professor am Institut für Sensomotorische Systeme an der ETH und an der Universitätsklinik Balgrist. Er entwickelt unter anderem Exoskelette, die gelähmten Menschen das Gehen wieder ermöglichen.

Ansonsten gilt es, viele logistische Herausforderungen zu bewältigen.Die Piloten sind grösstenteils mit Rollstühlen unterwegs: Sie müssen in Hotels untergebracht und mit Hilfe eines Shuttleservices hin- und hergefahren werden. Wir müssen die Geräte auf ihre Sicherheit und die Piloten auf ihre Gesundheit überprüfen. Es gibt also noch sehr viel zu tun und nichts darf schiefgehen. Aber die ETH ist ja Organisator und meistert das mit ihren Abteilungen sehr gut.

Von der ersten Idee bis zur Entwicklung der Wettkampftools – welches war die schwierigste und welches die schönste Phase für Sie?

Schwierig war es ganz zu Beginn vor etwa drei Jahren, als ich die Idee für den Wettkampf hatte. Die grosse Frage war: Wie kriege ich Teams aus aller Welt dazu, dass sie nicht nur mit ihren Gerätschaften an den Start kommen, sondern dass sie auch neue, funktionierende Techniken entwickeln, die auf unseren Parcours eine gute Leistung bringen?

Normalerweise dauert es viele Jahre, um solche Geräte überhaupt herzustellen. Zudem muss der Pilot mit der Technik üben, damit sie oder er das Gerät beherrscht und die Hindernisse einwandfrei überwinden kann.

Cybathlon-Initiator Robert Riener mit einer Beinprothese in der Hand
Legende: Cybathlon-Initiator Robert Riener, hier in seinem Labor an der ETH Zürich, arbeitet an robotischen Assistenzsysteme für Menschen mit Behinderungen. Zürcher Tourismus

Wie ging es los?

Ich habe fast panisch mit dem Organisieren begonnen: Mit einem Doktoranden zusammen habe ich die Internetseite entworfen und einen ersten Werbefilm gestaltet – dabei hat mir mein damals erst 16-jähriger Sohn geholfen. Zwei Tage später erhielten wir bereits Interview-Anfragen von BBC und CNN. Später kam dann mein ganzes Team hinzu, mit dem ich innerhalb eines Jahres etwa 20 Messen und Konferenzen besucht habe.

Ich habe Kollegen in aller Welt persönlich angeschrieben. So haben wir es dann geschafft, dass die Idee bekannt wurde, die Leute sich früh angemeldet und mit der Entwicklung begonnen haben. Am meisten Spass gemacht hat mir zu sehen, wie sich meine Begeisterung auf so viele Leute – egal ob Forscher, Menschen mit Behinderung oder Mann und Frau auf der Strasse – übertragen hat.

Was erhoffen Sie sich von der Veranstaltung in Kloten?

In allererster Linie wünsche ich mir, dass die Piloten, die Teams und die Zuschauer Spass haben. Langfristig ist mein Ziel, dass diese eigens für den Cybathlon entwickelten Technologien zu Produkten werden, die zum Wohle der Menschen mit Behinderung eingesetzt werden können. Der Cybathlon bringt Leute mit und ohne Behinderung, Forscher und Nicht-Forscher zusammen. So sollen Barrieren – vor allem in den Köpfen – abgebaut werden.

Der Cybathlon soll also alltagstaugliche Assistenztechnologien für Menschen mit Behinderung voranbringen. Kritiker wie Peter Wehrli, Geschäftsleiter von «Zentrum für ein Selbstbestimmtes Leben», entgegnen, dass diese Hightech-Geräte nichts mit den Alltagsproblemen von behinderten Menschen zu tun haben ...

So ist es ganz sicher nicht. Wir haben am Cybathlon alltagsrelevante Probleme berücksichtigt und diese sogar gemeinsam mit Menschen mit Behinderung entworfen. Wir konnten nicht alle Alltagshindernisse miteinbeziehen, da wir am Wettkampf nur eine Auswahl zeigen können. Natürlich ist es im Alltag wichtig, dass ein Gerät lange oder bei Regen funktioniert und auch finanzierbar ist. Das sind Faktoren, die wir noch nicht integrieren konnten.

Mensch auf einem Rollstuhl-Parcours
Legende: Der Cybathlon – nicht nur für die Athleten eine Herausforderung, sondern auch für die Organisatoren. ETH Zurich / Alessandro Della Bella

Leben die Forscher beim Cybathlon bloss ihre Hightech-Fantasien aus?

Ja, es wird hier Hightech entwickelt und die Forscher leben sich in der Tat aus – aber sie tun dies gemeinsam mit den Piloten und zum Wohle der Piloten. In allen Teams werden Piloten und Mediziner in die Entwicklungsphase miteinbezogen. Die Wünsche und Bedürfnisse der Leute mit Behinderung finden so Gehör. Das verrückteste Hightech-Gerät könnte in zehn oder zwanzig Jahre etabliert und so dann erschwinglich für fast alle sein.

Wehrli empfindet die Veranstaltung nichtsdestotrotz als Missbrauch der Menschen mit Behinderung, um Forschungsgelder zu generieren. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Das hört sich an, als ob Forschung eine Sünde wäre! Was wäre denn schlimm daran, mit Hilfe einer Veranstaltung wie dem Cybathlon, Gelder zu akquirieren für Forschung? Wir veranstalten den Event doch auch, um teilweise Missstände der Technik aufzuzeigen und Menschen ohne Behinderung zu zeigen, was die Alltagsherausforderungen mit Behinderung sind. Es ist ganz wichtig, dass man hier transparent ist: Die Forschung läuft im Prinzip ja eh. Der Cybathlon hilft, die Forschung in die richtige Bahn zu lenken.

Thementag «SRF Menschmaschine»

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SRF sendet am Samstag, 8. Oktober 2016, live vom Wettkampf «Cybathlon». Unter srf.ch/menschmaschine gibt es täglich neue Inhalte zu Cyborgs, Prothesen, Robotik, Menschmaschinen und Maschinenmenschen.

Mit Hilfe von Betroffenen?

Ja, für den Cybathlon haben wir genau solche kritische Stimmen früh ernst genommen und deshalb die grössten Behinderten-Organisationen ins Boot geholt. Die meisten sind nun nicht nur Patronatsgeber, Gönner oder Sponsoren, sondern beraten uns auch fachlich. In jedem der 73 Teams wird die Technologie gemeinsam mit den Piloten entwickelt und getestet. Zudem habe wir in persönlichen Treffen mit Menschen mit Behinderung wichtige Tipps eingeholt.

Gibt es ein konkretes Beispiel für so einen Tipp?

Meine ersten Ideen für den Armprothesen-Parcours haben sich nur auf die Fingerfertigkeit bezogen. Nachdem ich mit einer Person gesprochen hatte, die eine Armprothese trägt, merkte ich: Die eigentlich Herausforderungen liegen vor allem bei beidhändigen Aufgaben wie etwa dem Öffnen eines kleinen Marmeladenglases. Auf Basis dieses Gesprächs entstanden schliesslich Parcours-Aufgaben wie «Frühstückstisch vorbereiten».

Es ist geplant den Cybathlon zu wiederholen. Wie könnte der Wettkampf weiterentwickelt werden?

Zukünftig sollen auch Leute mit sensorischen Defiziten, wie blinde oder taube Menschen, integriert werden. Wir haben Ideen für neue Disziplinen, wo Kunst und Cybathlon verschmelzen: mit einer Prothese ein Musikinstrument spielen, malen oder mithilfe von robotischen Techniken tanzen. Geplant ist, dass alle vier Jahre ein mehrtägiger Grossanlass in der Schweiz stattfindet und jedes Jahr mehrere kleinere Events in verschiedenen Ländern.

Ausserdem wollen wir auch auf den Strassen, in Schulen und an Konferenzen weiter Aufklärung betreiben. Der Cybathlon hat so viele positive Meinungen und Energien in den Forschungslaboren und in der Bevölkerung generiert – wir wollen diesen Schwung nutzen und daraus eine gewisse Institution machen.

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