Wo vor dem Ersten Weltkrieg noch Vieh weidete und Jäger schossen, entstand ab 1914 eine Wildnis, die einzigartig in Europa war. Damals engagierten sich Politiker, Naturschützer der ersten Stunde und Forscher für die Gründung eines Nationalparks im Unterengadin. Fünf Gemeinden traten Land gegen Bundessubventionen ab, der Schweizerische Bund für Naturschutz (die spätere Pro Natura) finanzierte anfänglich den Betrieb.
«Es waren in erster Linie zivilisationskritische Städter, die sich für dafür engagierten», erklärt Patrick Kupper. Der Zürcher Historiker hat die umfassendste Studie zur Geschichte des Schweizerischen Nationalparks verfasst und würdigt das Projekt als europäische Pioniertat, die anderen Ländern als Modell diente. Widerstand gegen den ältesten Nationalpark der Alpen leisteten vor allem lokale Jäger. Aber auch die Bevölkerung war zu Beginn noch skeptisch, da man befürchtete, Raubtiere wie Bären könnten vom Reservat profitieren.
Eine Erfolgsgeschichte
Von Beginn an war der Nationalpark eine Art wissenschaftliches Freiluftlabor, wo Flora und Fauna sich selbst überlassen wurden. Ganz ohne menschliche Eingriffe ging es nicht: In den Dreissigerjahren wurden Steinböcke ausgewildert, nachdem das Bündner Wappentier in der Schweiz praktisch ausgerottet war. In jüngerer Zeit gelang es auch, den Bartgeier wieder anzusiedeln.
Schmerzhaft in Erinnerung bleibt Nationalparkdirektor Heinrich Haller die ökologische Katastrophe vom Frühling 2013. Damals liessen die Engadiner Kraftwerke zu viel schlammverschmutztes Wasser aus dem Livigno-Stausee abfliessen. Darauf verendeten Tausende von Fischen im Bach Spöl. «Solche Bilder passen nicht zum Nationalpark, das tut weh», so Haller. Für den Wildbiologen überwiegt trotz des herben Rückschlags das Positive: «Der Schweizerische Nationalpark ist ein Stück Heimat, ein Symbol, ein Schatz».