Die weltweite Coronavirus-Pandemie hat Wladimir Putin den «Tag des Sieges» gründlich versalzen. Anstatt sich der Weltöffentlichkeit als Oberhaupt einer Siegernation präsentieren zu können, machte der Präsident heute einen verlorenen und verlassenen Eindruck im Regen vor den Mauern des Kremls. Die Schwächen des Systems, das er selbst geschaffen hat, lassen sich nicht übertünchen.
Die Perspektiven des Kremls waren während den gesamten vergangenen 20 Jahren unter Wladimir Putin wohl selten so düster wie zurzeit. Das Coronavirus beschleunigt den seit Jahren schleichenden Zerfall der Zustimmungswerte des russischen Präsidenten.
Die Aufmerksamkeit gilt in diesen Tagen ganz der Eindämmung der Infektionskrankheit. Noch ist das Land weit davon entfernt, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Doch selbst wenn dies gelingen sollte, steht Putin erst am Anfang einer langfristigen Stagnation, die unaufhaltsam scheint.
Absehbare Protestbewegung
Die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist keine unmittelbare Bedrohung für den Machterhalt von Wladimir Putin. Doch das Land zu regieren, dürfte für Putin in Zukunft deutlich anstrengender und vor allem auch teurer werden.
Zum einen wird er sich mehr Proteste im Inland vom Hals schlagen müssen, angesichts sinkender Realeinkommen und fehlenden Zukunftsperspektiven. Zum anderen wird es teuer werden, die Elite bei Laune zu halten. In letzter Konsequenz dürfte Putin weniger Geld für seine aussenpolitischen Abenteuer in Syrien, Libyen und Venezuela bleiben.
Fehler der Vergangenheit
In der Krise rächt sich, dass Putin während Jahren die gesamte Macht im Land monopolisierte. Eine Pandemie fordert Entscheidungen in einem Tempo, welches keine Zentralmacht liefern kann. So hat Wladimir Putin dies zwar auch realisiert und den Gouverneuren das Krisenmanagement übertragen.
Doch in der grossen Mehrheit sind dies Personen, die nicht wegen ihrer innovativen Entscheidungskraft in Ämter gehoben wurden, sondern weil sie sich als leicht kontrollierbar erwiesen haben.
Bedenklicher Realitätsverlust
Es war nicht von vornherein aussichtslos für Wladimir Putin, gestärkt aus der Krise zu treten. Aber nach 20 Jahren an der Macht fühlt sich Putin zu sicher im Sattel und scheint sich selbst zu überschätzen. Während weltweit Staaten die eigene Bevölkerung in diesen schwierigen Monaten unterstützen, überlässt der russische Staat seine Bürger weitgehend sich selbst.
Statt Fehler einzuräumen, werden die steigenden Infektionszahlen wahlweise entweder der Bevölkerung oder Ärzten in die Schuhe geschoben. Putin täte sich selbst einen Gefallen, die drängenden Probleme ernstzunehmen. Ansonsten dürfte er nicht nur heute wie ein Verlierer wirken.