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Abwärtsspirale türkische Lira Am Schluss setzt Präsident Erdogan seine Pläne durch

Wenn es um die Corona-Fallzahlen geht, gehört die Türkei nicht zu den Spitzenreitern. Zumindest, wenn man den offiziellen Angaben glaubt. Ungeachtet dessen hat die Krise das Land am Bosporus mit aller Wucht getroffen. Denn es fehlen die Touristen.

In Zeiten von Corona verbringt kaum jemand seine Ferien in Istanbul oder an den Stränden von Izmir und Antalya. Der Tourismus ist für die Türkei enorm wichtig – er macht rund 12 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus.

Kurszerfall bereits vor der Krise

Dabei wären Ferien in der Türkei im Moment günstig. Denn die türkische Lira befindet sich im freien Fall. Zum Dollar hat sie seit Anfang Jahr 30 Prozent an Wert verloren. Die Abwärtsspirale dreht: Je höher die Verluste, desto grösser die Bedenken bei Investoren. Es drohen weitere Verluste.

Der Kurs der Währung dient als Fieberthermometer für den Zustand der Wirtschaft. Und diese findet sich schon seit Jahren auf der Intensivstation. So hat der Kurszerfall denn auch schon lange vor der Krise begonnen. Die Lira ist heute noch ein Sechstel so viel Wert wie vor zehn Jahren.

Nicht nur der Tourismus betroffen

Nicht nur der Tourismus ist eingebrochen. Die Pandemie hat auch die türkischen Exporte getroffen. Das verschärft ein chronisches Problem der türkischen Wirtschaft: das Leistungsbilanzdefizit. Zudem hat die Coronakrise die Reserven der Notenbank schmelzen lassen. Das alles bringt die türkische Lira unter Druck. Denn die Lira hat ein Glaubwürdigkeitsproblem – Investoren bevorzugen stabile Währungen wie den Schweizer Franken.

In dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation wechselt Präsident Recep Tayyip Erdogan einen Teil seiner Leute aus. Den bisherigen Chef der Notenbank hat er nach nur rund 16 Monaten im Amt entlassen und durch einen neuen ersetzt. Und der Finanzminister, notabene Erdogans Schwiegersohn, hat selbst den Hut genommen.

Ob dies etwas ändert, ist allerdings fraglich. Denn das Grundproblem ist nicht die Mannschaft, sondern ihre fehlende Unabhängigkeit von Erdogan. Für ihn steht Wachstum im Vordergrund. Kriterien wie Preisstabilität oder eine stabile Währung sind für ihn zweitrangig. Zinserhöhungen sind für Erdogan ein Unding, er hat sich wiederholt als «Zinsfeind» bezeichnet.

Notenbank unter politischem Druck

Damit ist der politische Druck auf die Notenbank enorm. Eine Zinserhöhung wäre ein Rezept gegen den Zerfall der Lira – der Präsident will davon aber partout nichts wissen. Im Juli 2019 hat Erdogan den damaligen Notenbankchef Knall auf Fall entlassen; angeblich, weil er die Zinsen zu wenig schnell gesenkt hatte.

Am 19. November ist Tag der Wahrheit, dann entscheidet die Notenbank über den Leitzins. Der neue Währungshüter heisst Naci Agbal. Als ehemaliger Finanzminister hat er einen guten Draht zu Erdogan. Agbals Aussage, er werde sein Vorgehen strikt an der Preisstabilität orientieren, verhalf der Lira zu einem vorübergehenden Kurssprung.

Dennoch: Eine deutliche Zinserhöhung ist nicht zu erwarten. Denn auch wenn einzelne Akteure, die in der Türkei für die Geldpolitik zuständig sind, von Zeit zu Zeit ausgewechselt werden: Am Schluss setzt Präsident Erdogan seine Pläne durch. Dabei steht Erdogan vor der Herausforderung, einen Mittelweg zu finden: Einerseits wird er alles daransetzen, nicht das Gesicht zu verlieren, andererseits darf er in der Coronakrise nicht das Vertrauen der Investoren verspielen.

Annik Ott Fischer

Wirtschaftsredaktorin TV

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Annik Ott Fischer ist Mitglied der Wirtschaftsredaktion des Schweizer Fernsehens. Die studierte Juristin arbeitet seit 2008 für SRF.

SRF 4 News, 8.11.2020, 21:30 Uhr

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