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Affäre Maassen «Nur die AfD wird sich darüber freuen»

Der heftig kritisierte Präsident des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maassen, muss seinen Posten räumen, er wird jedoch befördert und wechselt als Staatssekretär ins Innenministerium – und ersetzt dort ausgerechnet einen SPD-Funktionär. Albrecht von Lucke, Jurist und Politikwissenschaftler, hält das für einen riesigen Fehler der grossen Koalition.

Albrecht von Lucke

Politologe, Jurist und Publizist

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Der Politologe, Jurist und Publizist ist seit 2003 Redaktor der «Blätter für deutsche und internationale Politik», einer politisch-wissenschaftlichen Monatszeitschrift in Berlin. Darüber hinaus ist er freier Autor.

SRF News: Sie sagen, die Versetzung, ja, Beförderung Hans-Georg Maassens sei ein Schaden für das Ansehen der Demokratie. Inwiefern?

Ich glaube in der Tat, dass die Causa Maassen das Vertrauen in die Demokratie in der Bevölkerung maximal untergräbt. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir es hier mit einem Chef des Verfassungsschutzes zu tun haben, der offen gegen die Kanzlerin Politik gemacht hat. Von Seiten der SPD war er klar aufgefordert worden, seinen Posten zu verlassen. Das ist zwar nun der Fall.

Hier sollten alle drei Parteien ihr Gesicht auf Teufel komm raus nicht verlieren. Das ist nicht mehr nachvollziehbar.

Aber die Konsequenz ist nicht etwa, dass er damit aus der Politik respektive aus der Beamtenlaufbahn ausscheidet. Sondern er wird zum Staatssekretär in Horst Seehofers Innenministerium befördert, der auch gegen die Kanzlerin Politik macht. Das ist ein so absurder Vorgang, der letztlich nur eines zum Ausdruck bringt: Hier sollten alle drei Parteien ihr Gesicht auf Teufel komm raus nicht verlieren. Das ist für die Bevölkerung nicht mehr nachvollziehbar.

Wie Seehofer sagte, übernimmt Maassen ausgerechnet den Posten des einzigen SPD-Staatssekretärs. Seehofer bemerkte süffisant, SPD-Chefin Andrea Nahles sei darüber informiert worden. Was sagen Sie dazu?

Das ist natürlich noch eine zusätzliche Demütigung der SPD. Maassen wird ja – und das macht es noch prekärer – weiterhin für Sicherheit zuständig sein. Er wird obendrein mit seinem engsten Freund Dieter Romann, dem Chef der Bundespolizei, im Bundesinnenministerium zusammenarbeiten. Dieser ist auch ein expliziter Kritiker von Angela Merkel. Das heisst, wir haben hier so etwas wie eine neue Ballung derjenigen, die auf Seehofers Seite stehen.

Die Demütigung der SPD, dass ihr einziger Staatssekretär seinen Posten verliert, ist Ausdruck dessen, dass vor allem Nahles eine fatale Niederlage strategischer Art für die SPD eingefahren hat. Vollmundig hatte sie verkündet: «Maassen muss gehen und er wird es auch.» Das wurde nun zum Bumerang.

Wie will Nahles, wie will die SPD das aus ihren Reihen vermitteln?

Das kann sie nicht, und das ist das eigentliche Problem. Deswegen halte ich die Sache übrigens auch für noch nicht ausgestanden. Wir haben bereits jetzt grosse Proteste der bayerischen SPD, die im Wahlkampf steht. Wir müssen uns bewusst machen: In vier Wochen wird in Bayern gewählt. Die SPD steht in Bayern desaströs da, sie läuft Gefahr, knapp an die zehn Prozent zu geraten.

Das heisst: Sie hat alles andere als Rückenwind aus Berlin. Die SPD in Bayern fordert jetzt die eigenen Minister im Kabinett auf, bei der Abstimmung, die stattfinden wird, gegen Maassens Ernennung zum Staatssekretär zu stimmen. Nahles ist also in allergrössten Schwierigkeiten. Ich halte es nicht für ausgemacht, dass diese Entscheidung noch gekippt wird. Aber das wäre für Nahles' künftige Karriere prekär. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihren Posten als Parteivorsitzende behalten könnte, wenn sie Maassen wieder zurückholt, nachdem sie dem Schritt, ihn zu versetzen, zugestimmt hat.

Die SPD hat bei der Bundestagswahl vor einem Jahr das mit Abstand schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte eingefahren. Trotzdem sitzt sie erneut als Juniorpartnerin in der Grosse Koalition. Wie geht es weiter?

Andrea Nahles hätte die Chance gehabt, deutlich zu machen, dass sich die SPD entschieden für den Abgang Maassens einsetzt – und zwar ohne Alternative oder gar Beförderung. Sie hätte sogar so weit gehen können, die Koalition aufs Spiel zu setzen. Das hätte man ihr hoch angerechnet.

Seit 2015 treibt Seehofer die kleine Koalition in der grossen Koalition – die kleine Koalition aus SPD und CDU – regelrecht vor sich her.

Denn damit hätte sie genau den Unterschied gemacht, den man bisher lange vermisst hat. Denn bisher hat die SPD es nicht geschafft, in dieser Koalition eigene Akzente zu setzen. Die Entschiedenheit, Maassen abzusetzen, hätte klar gemacht: «Wir machen es, auch auf die Gefahr hin, dass diese Koalition platzt.» Das ist bisher nicht gelungen, und deswegen steht dieser Fall für den Tiefpunkt. Ich bin nicht sicher, ob es vielleicht doch noch eine Umkehr gibt im Falle Maassen. Oder ob da nicht definitiv die Kräfte gewinnen werden, die sagen: «Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der grossen Koalition.»

Es macht den Anschein, dass Merkel die Lage nicht im Griff hat und dass Seehofer den Takt vorgibt. Würden Sie dem zustimmen?

Absolut. Das ist die eigentliche Tragik. Denn wir müssen uns bewusst machen: Wir haben seit drei Jahren eine grosse Koalition, die den Namen nicht mehr verdient. Seit 2015 treibt Seehofer die kleine Koalition in der grossen Koalition – die kleine Koalition aus SPD und CDU – regelrecht vor sich her, vor allem die Kanzlerin. Und deshalb ist das so fatal: Merkel hätte allen Grund gehabt, einmal entschieden von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen und Maassen entschieden zu entlassen. Hätte sie das getan und damit den Bruch der Koalition und damit die Kündigung Seehofers in Kauf genommen, hätte sie Stärke gezeigt. Sie hätte den Machtkampf mit ihm endlich aufgenommen.

Man muss Angela Merkel ein weiteres Mal als eine Getriebene von Horst Seehofer begreifen. Und das schwächt die Regierung.

So muss man ein weiteres Mal Angela Merkel als eine absolut Getriebene von Horst Seehofer begreifen. Und das schwächt die Regierung, schwächt aber auch die Bundesrepublik im europäischen Konzert. Und es sorgt dafür, dass diese grosse Koalition weiterhin in den entscheidenden Fragen der Gegenwart ausfällt, obwohl Europa längst nach einer starken Bundesregierung verlangt.

Der Chefredaktor der «Bild»-Zeitung schrieb in einem Leitartikel: «Man kann kein besseres Beispiel für Politik finden, die kein normaler Mensch mehr versteht.» Kann man das als Aufforderung sehen, die AfD zu wählen?

Das Tragische ist, dass Julian Reichelt, der seit langem eine schlichte Merkel-muss-weg-Politik macht, damit durchaus in den Kanon der AfD einstimmt. Er wurde dafür von Alexander Gauland, dem Chef der AfD, ausdrücklich als vorbildlich gelobt. Dass Reichelt mit seinem Leitartikel recht hat, ist das Dramatische. In der Tat versteht die Bevölkerung diese Entscheidung nicht.

Einen entlassenen Verfassungsschutzpräsidenten wenige Minuten später zu befördern, ist der Bevölkerung nicht zu vermitteln.

Einen eben noch entlassenen Verfassungsschutzpräsidenten prompt wenige Minuten später auf eine höhere Gehaltsstufe zu befördern, ist der Bevölkerung nicht zu vermitteln. Und damit ist es leider etwas, worüber sich nur die AfD freuen wird. Die AfD wird auch aus dieser Tatsache wieder Profit schlagen.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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