Pianura ist eine Trabantenstadt, etwa 20 Autominuten vom Zentrum Neapels entfernt. Ab den 1970er Jahren schossen hier Häuser und Wohnblöcke wie Pilze aus dem Boden. «Heute leben in Pianura über 60'000 Leute», erklärt Marco Lanzaro am Steuer seines Autos. «All die Gebäude, die man hier sieht, entstanden illegal: Es gab zu wenig Wohnraum für die Neapolitaner.»
Doch in Pianura hatte es noch viel Platz, und so baute man: Ohne Zonenplan, ohne Vorschriften, ohne Gesetz, einfach so, erzählt Lanzaro weiter. Er muss es wissen: Er ist gewähltes Mitglied der lokalen Regierung, zuständig fürs Bauwesen. Und als solcher gibt Lanzaro unumwunden zu, dass auch sein Haus illegal errichtet wurde: «Ich bin daran, mein eigenes Haus legalisieren zu lassen.»
Keine Kontrolle auf Erdbebensicherheit
Es gebe ein Gesetz, das dies im Nachhinein ermögliche. Doch das Prozedere sei kompliziert, so Lanzaro. Es waren seine Eltern, die das Haus in den 1980er Jahren ausserhalb der Bauzone und ohne Bewilligung errichten liessen.
Sie hätten nur wegen der damaligen Wohnungsnot illegal gebaut, rechtfertigt sich der Sohn. All die Häuser seien zwar nie nachträglich auf ihre Erdbebensicherheit kontrolliert worden, gibt er zu. Er könne aber versichern, dass sie das schwere Beben von 1980 heil überstanden hätten. Das ist ihm offenbar Kontrolle genug.
Pianura – das ist kein schöner Anblick. Viele Häuser sind verlottert. Die Vorstadt liegt zwischen zwei Hügeln. Einer von ihnen ist ein erloschener Vulkan. Nur wenige Kilometer entfernt liegen die Phlegräischen Felder, ein Gebiet mit hoher vulkanischer Aktivität und dichter Bebauung. Trotzdem macht sich Lanzaro, der Bauverantwortliche, ganz andere, für ihn sehr viel naheliegendere Sorgen.
Die Leitungen im Untergrund genügen nicht. Weil man illegal baute, hat die Gemeinde das Gelände nie richtig mit Strom-, Gas- oder Wasserleitungen erschlossen. Regnet es nur ein bisschen, dann ist der Abwasserkanal sofort verstopft. Mit solchen Problemen habe er zu kämpfen, sagt Lanzaro.
Anna Saverese vom Umweltverband Legambiente schüttelt bei solchen Aussagen den Kopf: «Ich denke nicht, dass die Häuser von Pianura sicher sind. Darum fordern wir, dass alle Häuser unverzüglich kontrolliert und eventuell auch abgerissen werden.» Erdbebensicheres Bauen ist für sie ein zentrales Thema.
Wohnungsnot nur vorgeschobene Begründung
Savarese widerspricht den Aussagen des Bauverantwortlichen von Pianura noch in einem weiteren Punkt: Dass die Leute dort nur aus Not gegen die Gesetze verstossen hätten, lässt sie nicht gelten. «Abusivismo di necessità», der Missbrauch aus einer Notlage heraus, sei in Italien zwar ein stehender Begriff. Trotzdem möge sie ihn nicht mehr hören. Denn das Vorgehen löse kein Problem, es schaffe bloss neue, sagt sie. In dem Fall: illegale Häuser in der Erdbebenzone.
Klar, der Staat hätte die Wohnungsnot mit Sozialwohnungen lindern sollen. Doch in Pianura hätten längst nicht nur kleine Leute kleine Häuschen gebaut, gibt die Umweltschützerin zu bedenken. Sondern auch die lokale Mafia, die Camorra, sei gross ins Geschäft eingestiegen: «Sie kaufte am Stadtrand viel billiges Land», so Savarese. Zuerst habe sie darauf Giftmüll vergraben und ein erstes Mal kassiert. «Dann kassierte die Camorra ein zweites Mal, indem sie das Land überbaute.»
Zurück im Auto von Marco Lanzaro. Er selber wisse nichts über die Verwicklungen der Camorra ins Baugeschäft, beteuert er. Er sei damals, in den 70er und 80er Jahren, noch ein Kind gewesen. Aber wird denn inzwischen legal gebaut? Kaum, denn auch heute noch ist es fast unmöglich, eine Bewilligung zu erhalten. Das heisst, wenn hier jemand ein Haus baut, dann kann man davon ausgehen, dass er es illegal tut. Es sei ein «abusivismo di necessità», ein Gesetzesverstoss aus Notwendigkeit. Lanzaro beharrt auf diesem Begriff.