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App statt Ausgang Abgesang auf die alte Karaokebar

Ob Geburtstag oder Party nach Feierabend mit Kollegen: Karaoke war in China stets erste Wahl. Nun schliessen immer mehr Lokale. Gesungen wird dennoch – Smartphone sei Dank.

So klang ein typischer Ausgang mit Freunden in China: Jemand sang, manchmal besser, manchmal schlechter, der Rest der Gruppe trank Bier, spielte Würfelspiele oder bestellte Snacks. In den 90er-Jahren schwappte die Karaokewelle von Japan über Hongkong und Taiwan auch auf das chinesische Festland über.

In Peking eröffneten 1990 rund 100 Karaokebars. 1991 waren es bereits 200, und ein Jahr darauf 400.
Autor: Wang Qiyan Ökonom an der Renmin Universität in Peking

Ökonom Wang Qiyan von der Renmin Universität in Peking ist spezialisiert auf die Freizeitindustrie und kennt das Phänomen: «Nehmen wir Peking als Beispiel. Allein hier eröffneten 1990 rund 100 Karaokebars. 1991 waren es bereits 200, und ein Jahr darauf 400.» Über zwei Jahrzehnte lang kannte der Boom kein Halten, im ganzen Land eröffneten immer neue Geschäfte. Auch die sogenannten KTVs wurden bei den Chinesen immer beliebter – jene Suiten, die sich Freunde und Bekannte mieteten, um beim Singen und Feiern unter sich zu sein.

Konkurrenz zu anderen Freizeitbeschäftigungen

Seinen Höhepunkt habe Karaoke in China inzwischen aber überschritten, sagt Wang. Die Zeiten seien rauer geworden: «Der bekannteste und grösste Anbieter, Partyworld, hat mehrere Filialen geschlossen, nicht nur in Peking. Der Immobilien- und Unterhaltungskonzern Dalian Wanda hat gar alle seine Karaokeläden dicht gemacht und sich aus dem Geschäft verabschiedet.»

Es gebe nur noch mittelgrosse und kleine Anbieter, erklärt Wang. «Aber wie lange diese durchhalten können, ist unklar.» Denn: China hat sich in den vergangenen 20 Jahren gewaltig verändert. Nicht nur die Wirtschaft hat sich entwickelt, auch die Menschen haben andere Ansprüche. Karaoke hat Konkurrenz bekommen.

«Früher hatten die Chinesen viel weniger Auswahl, wie sie ihre Freizeit gestalten wollen. Heute machen sie Ausflüge, treiben verschiedene Sportarten, spielen Computerspiele oder vertreiben sich die Zeit mit dem Smartphone», so Wang.

«Sing doch» ist zeitsparender als Barbesuch

Ausgerechnet das Smartphone könnte jedoch der Retter des Karaoke sein, wenn auch in ganz anderer Form – der einer App. Sie heisst «Changba», auf Deutsch: «Sing doch». Auch die 24-jährige Fitnesstrainerin Wang Chunhui schaut auf ihr Handy, scrollt durch die App. Mit «Changba» wird ihr Smartphone zum Karaoke im Taschenformat – inklusive eingeblendetem Liedtext und Begleitmusik.

Wang Chunhui mit der App Changba
Legende: Wang Chunhui nimmt einen Song bis zu zehnmal auf, bevor sie ihn teilt. SRF/Martin Aldrovandi

Wang Chunhui zieht die App dem Ausgang vor: «Wenn man in eine Karaokebar geht, dauert das immer drei bis vier Stunden, man singt und trinkt mit Freunden bis spät in die Nacht. Wenn ich spontan Lust darauf habe, ein zwei Lieder zu singen, dann geht das mit der App viel besser.» Und die gesungenen Lieder kann Wang Chunhui direkt auf ihrem Smartphone speichern. Besonders gelungene lädt sie auf die «Changba»-Plattform hoch, wo andere Nutzer Kommentare abgeben.

«Ich höre mir die Aufnahmen dann mehrmals an, um zu prüfen, wie ich gesungen habe, wo ich Fehler gemacht habe», sagt die junge Chinesin. «Manchmal nehme ich einen Song bis zu zehnmal auf, bevor ich ihn speichere und hochlade.»

Rund 300 Millionen Chinesen nutzen die App

Mit rund 300 Millionen Nutzern ist «Changba» derzeit die beliebteste App für Karaoke in China. Die Karaokeindustrie setzt damit auf die junge Kundschaft. Auch gibt es inzwischen Miniboxen in Einkaufszentren oder an Vergnügungsmeilen: Wer plötzlich Lust verspürt, zu singen, der kann ganz spontan in einer Einzel- oder Zweierzelle und laut vor sich hin singen.

Am meisten Spass macht Wang Chunhui aber das Singen mit dem Handy. Ihr Lieblingslied: «Der Mond widerspiegelt mein Herz», ein Hit der taiwanischen Schlagerikone Teresa Teng. Wang drückt auf «Play» und singt in ihr Handy.

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