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Bedrohte Medienfreiheit Der Journalismus ist unter Druck – auch in westlichen Demokratien

Eine Unesco-Konferenz endet mit einem Appell für einen Journalismus ohne Angst. Den Worten müssen Taten folgen.

Für Unesco-Generaldirektorin Audrey Azoulay gibt es ohne freie journalistische Arbeit weder Demokratie noch Rechtsstaatlichkeit. Mündige Bürgerinnen und Bürger müssten erfahren, was wahr und was falsch sei.

Dennoch stünden Journalistinnen und Journalisten unter Druck wie schon lange nicht mehr: «Sie sind zu Zielscheiben geworden, werden getötet, psychisch bedroht und schikaniert. Und zwar, allein weil sie ihre Arbeit machen.»

Die Welt hat ein grosses Problem, wenn die Regierenden in alten und grossen Demokratien die Medienfreiheit verunglimpfen.
Autor: Irene Khan UNO-Sonderberichterstatterin für Medienfreiheit

Der wirtschaftliche Druck auf die Medien, durch die Coronakrise noch verschärft, bedrohe ausserdem einen Grossteil der unabhängigen Medien weltweit in ihrer Existenz.

Schuld an der Situation sind keineswegs nur die üblichen Verdächtigen, also Länder wie Nordkorea, Syrien, Saudi-Arabien oder Venezuela, sondern ebenso vermeintlich gefestigte Demokratien im Westen.

Kundgebung für den ermordeten slowakischen Journalisten Jan Kuciak.
Legende: «Journalismus ohne Angst» lautete das Motto der Konferenz zur Medienfreiheit, organisiert von der Unesco und der niederländischen Regierung. Im Bild: Kundgebung für den ermordeten slowakischen Journalisten Jan Kuciak. Keystone

Selbst physische Angriffe auf Reporterinnen und Reporter finden nicht länger primär in Kriegsgebieten statt, betont Irene Khan, die UNO-Sonderberichterstatterin für Medienfreiheit. Wer etwa in Korruptionsfällen oder über Menschenrechtsverletzungen recherchiert, riskiert vielerorts viel, im Extremfall das Leben. Dazu kommt: In fast neun von zehn Fällen kämen jene, die Journalisten umbrächten oder angriffen, straffrei davon.

Das politische Klima besorgt Khan. «Die Welt hat ein grosses Problem, wenn die Regierenden in alten und grossen Demokratien die Medienfreiheit verunglimpfen – in Washington, in Delhi, in Brasilia etwa.»

Raue Jahre unter Trump

Elisabeth Bumiller, die Leiterin des Hauptstadtbüros der «New York Times», spricht im Fall der USA von vier rauen Jahren unter Donald Trump, einem Präsidenten, der die Medien als Volksfeinde verunglimpfte und pausenlos Lügen verbreitete.

Ihre Kollegin Nima El-Bagir vom Nachrichtensender «CNN» warnt: Es sei zu früh, um aufzuatmen. Der Populismus sei mit Trumps Abgang keineswegs am Ende. Was Trump in den USA oder Boris Johnson in Grossbritannien tue, sei ansteckend. Staats- und Regierungschefs mit autoritären Neigungen rund um die Welt zögen begierig Lehren daraus. Sie freuten sich, wenn die Medien als Kontrollorgan geschwächt würden und ihre Glaubwürdigkeit zerbrösle.

Was tun?

Die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney empfiehlt zweierlei. Erstens müssten auch Dutzende von demokratischen Regierungen selber über die Bücher gehen. Es gebe noch in viel zu vielen Ländern Gesetze, welche die Medienfreiheit einschränkten, von Geheimhaltungsvorschriften über die strafrechtliche Verfolgung von Publikationen bis zu Gesetzen, welche etwa Blasphemie, also die Verhöhnung von Religionen, unter Strafe stellen, mitunter gar unter Todesstrafe.

Menschenrechtsanwältin Amal Clooney
Legende: Fast 900 Journalistinnen und Journalisten wurden laut der Unesco zwischen 2010 und 2019 bei der Ausübung ihres Berufes getötet. Im Bild: Menschenrechtsanwältin Amal Clooney. Keystone

«Zweitens», so Clooney, «muss die Führung in Rechtsstaaten Mut und Willen aufbringen, Druck auf autoritäre Regime zu machen.» Finanzsanktionen und Reiseverbote gegen führende Regimevertreter seien geeignete Instrumente.

Verhallt der Appell?

Am Rande der Medienfreiheitskonferenz trafen sich Minister aus 54 Ländern zu einem virtuellen Austausch und verabschiedeten am Ende einen Aufruf zum Schutz von Medienleuten. Der niederländische Aussenminister Stef Blok verspricht: «Wir wollen handeln, um Journalisten zu schützen.»

Er räumt aber ein, dass es sich primär um einen Appell handle. Und: Wer Druck auf andere machen wolle, müsse zunächst sein eigenes Haus in Ordnung bringen. Der Aufruf von Amsterdam ist nötig und überfällig. Ausreichen wird er allerdings nicht.

Echo der Zeit vom 10.12.2020, 18 Uhr

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