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International Berlin im Bann der BND-Affäre

Der Geheimdienst-Skandal erschüttert mal wieder Deutschland – und nun auch die Regierungskoalition. Vizekanzler Gabriel inszeniert sich als Chefaufklärer, die Kanzlerin verteidigt derweil den Prügelknaben der Stunde, den BND. Ein Überblick über die undurchsichtige Gemengelage in Berlin.

Das Thema ist schwierig, weil in weiten Teilen geheim, ziemlich komplex und es geht vor allem auf eine lange Geschichte zurück. Angefangen hat alles vor 14 Jahren. Mit den Anschlägen von 9/11. Mit dieser neuen, massiven terroristischen Bedrohung westlicher Länder. Damals stellte sich heraus, dass einer der Attentäter von New York in Deutschland gelebt, sein technisches Wissen an einer Fachhochschule in Deutschland erworben hatte.

Casper Selg

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Legende: casperselg.ch

Seit mehr als 35 Jahren ist Casper Selg Journalist. Er leitete das «Echo der Zeit» und war Radio-Korrespondent in den USA und nach 2010 in Berlin. Seit seiner Pensionierung im Sommer 2015 arbeitet er als freier Journalist und Ausbildner. Er ist Mitglied des Schweizer Presserates.

2002 unterzeichnete die damalige Rot-Grüne Bundesregierung deswegen ein Zusammenarbeitsabkommen des deutschen mit dem amerikanischen Geheimdienst, um solchen Aktivitäten in enger Zusammenarbeit schneller auf die Spur zu kommen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit zur Terrorbekämpfung liefern die USA seither dem deutschen Geheimdienst BND Telekommunikationsadressen, die sie von deutschen Späh-Anlagen aus überwacht haben wollen. Telefonate, Mailverkehr.

Dass diese Adressen mit der Zeit weit über die reine Terrorbekämpfung hinausgingen, war in Berlin schon bekannt geworden, noch bevor Edward Snowden vor drei Jahren unzählige Details publik machte. Die Frage heute lautet: wer wusste das, was wusste man und vor allem wie weit geht das heute noch?

Merkel: «Der BND muss international kooperieren»

Die Aufregung ist im Moment gross. Kanzlerin Merkel bleibt ruhig. Sie sagt – auch gestern wieder –, «ja, diesen Fragen müssen wir nachgehen», aber am Grundsatz, an der Zusammenarbeit mit der NSA werde sie nicht rütteln lassen: «Auch wenn es vielleicht im Augenblick nicht so beliebt ist: Unsere Nachrichtendienste und vor allem der BND müssen international kooperieren – und sie werden das auch weiter tun. Um Leib und Leben von 80 Millionen Deutschen bestmöglich zu schützen.»

Es gelte hier eine Balance zu finden zwischen dem Sicherheitsbedürfnis einerseits, der Überwachung von Leuten, welche Anschläge planen könnten und andererseits der Freiheit des Einzelnen vor Überwachung. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang lautet nun: missbraucht die amerikanische NSA diese Zusammenarbeit auch zum Ausspionieren von deutschen und anderen, europäischen, Industriebetrieben und Politikern?

Erste Bruchlinien in der Grossen Koalition

Genau das hat der «Spiegel» vor drei Wochen behauptet und seither wollen deutsche Politiker zwei so genannte Selektoren-Listen sehen: erstens die Adressen, welche der BND von den Amerikanern zwecks Überwachung bekommt. Und zweitens die Adressen, welche der BND selber aus der amerikanischen Wunschliste wieder herausgestrichen hat.

Audio
Deutsche Regierungskoalition und Geheimdienstskandal
aus Echo der Zeit vom 06.05.2015. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 19 Sekunden.

Diese Listen legen wir euch erst vor, sagt da Angela Merkel, wenn wir das mit den Amerikanern abgesprochen haben. Hier geht es um hochgeheimes Material, da stehe einiges auf dem Spiel. Ihr Vizekanzler, Sigmar Gabriel, SPD, sagt umgekehrt: das müssen wir dem Geheimdienstausschuss des Bundestages vorlegen, auch ohne Zustimmung der Amerikaner.

Und seit diesem Wochenende geht Gabriel noch einen Schritt weiter weg von Koalitionspartnerin Merkel. Indem er ausplaudert, was die ihm in einem vertraulichen Gespräch zweimal gesagt haben soll: «Nach dem Auftauchen der ersten Hinweise habe ich die Kanzlerin zwei Mal gefragt, ob es Wirtschaftsspionage gibt. Beide Male wurde das mir gegenüber verneint.» Dass Gabriel diese angebliche Äusserung Merkels ausgeplaudert hat, ist das zweite grosse Politikum, neben der eigentlichen Spionageaffäre.

Vizekanzler Gabriel nimmt sich und die SPD aus dem Schussfeld

Damit schiebt Gabriel nämlich die Verantwortung für allfällige weitere Enthüllungen, die jetzt noch kommen könnten, voll auf seine Regierungspartnerin. Das sagt er auch. Er wolle nicht das ganze Schlamassel politisch mitverantworten, das die CDU während der letzten 10 Jahre in den Nachrichtendiensten habe entstehen lassen.

Kanzlerin Merkel und Sigmar Gabriel im Gespräch, aufgenommen im Bundestag
Legende: Redebedarf: Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Sigmar Gabriel sind sich dieser Tage uneins. Reuters

Das kann man als geschickten taktischen Schachzug des SPD-Vorsitzenden sehen. Die CDU, aber auch fast die gesamte deutsche Presse, sehen das allerdings anders. Nämlich als unverantwortlichen Bruch der Regierungstreue zu eigennützigen Zwecken. Die SPD kämpft gegen schlechte Umfragewerte und fragt sich schon lange, wie sie sich besser ins Licht setzen, gegenüber der CDU besser profilieren könne. Darum gehe es Gabriel in Wirklichkeit, sagen seine Gegner.

Merkels Motto: «Vertuschen, Verschleiern, Aussitzen»?

In der Parlamentsdebatte heute Nachmittag zeigte sich sehr deutlich, wie weit die Standpunkte in dieser ganzen Angelegenheit NSA-BND auseinanderliegen in dieser ganzen Angelegenheit. Für die Grüne Göring-Eckhardt geht es hier um einen handfesten Skandal: «Die Bundeskanzlerin ist nach dem Motto verfahren: Vertuschen, Verschleiern, Aussitzen.»

Für den CSU-Abgeordneten Stephan Mayer trifft das genaue Gegenteil zu. Nicht die Regierung habe einen Skandal zu vertreten, sondern die Opposition: «Hier steht kein BND-Skandal zur Debatte. Es ist ein Skandal, wie die Opposition mit dieser Thematik umgeht.»

Das Thema wird noch länger zu reden geben, es wird wohl vom Inhalt der angeforderten Listen abhängen, wie gross die Konsequenzen sein werden. Ob die Einschätzung des Grünen Hans-Christian Ströbele sich bewahrheiten wird: «Diese Fehler sind so schlimm, dass das organisatorische wie personelle Konsequenzen haben muss. Sowohl im Bundeskanzleramt als auch im Bundesnachrichtendienst – und zwar erhebliche.»

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